Suendiger Hauch
Ich muss sie sehen und dafür sorgen, dass sie die Hoffnung nicht verliert. Sie muss wissen, dass wir sie nicht aufgegeben haben, sondern immer noch dabei sind, ihr zu helfen.«
Nat schüttelte den Kopf. »Sie werden Sie nicht zu ihr lassen, dafür hat Dunstan gesorgt. Sie darf keinen Besuch empfangen - sie sei zu gefährlich, behaupten Dunstan und Dr. Blakemore.«
»Blakemore. Dieser elende Feigling soll froh sein, wenn ich ihn nicht in die Finger bekomme. Und was Dunstan betrifft, habe ich mir noch keine Strafe ausgedacht, die grausam genug für ihn wäre«, presste er zwischen den Zähnen hervor.
Nat nahm seine Brille ab und legte sie zusammengeklappt auf einen Stoß Blätter, der ausgebreitet auf seinem Schreibtisch lag. »Nur die Ruhe, Lucien. Sie und Ihre Tante sind die einzige Hoffnung für dieses Mädchen. Sie müssen Ihren Verstand einsetzen. Dunstan ist gerissen. Jeden Fehler, den Sie begehen, wird er gegen Sie verwenden.
Lucien seufzte erschöpft. »Ich dachte, es würde einfach werden. Ich war davon überzeugt, dass ich sie in Windeseile dort herausgeholt haben würde, und ich habe keine Ahnung, wie lange sie es noch aushalten wird.«
Nat stand auf und lehnte sich, auf seine Hände gestützt, nach vorn. »Sie tun alles, was in Ihrer Macht steht. Niemand kann mehr von Ihnen Verlagen.«
Doch es war nicht genug, nicht einmal annähernd. Irgendwie musste er ihr helfen. Lucien war sich nicht sicher, wie es geschehen konnte, dass Kathryn Grayson ihm mittlerweile so viel bedeutete. Doch wie auch immer, er betrachtete sie als Freundin, und er war kein Mann, der Freunde in Not einfach fallen ließ.
»Danke, Nat. Danke für all die Arbeit, die Sie sich gemacht
haben.«
»Das habe ich doch gerne getan«, erwiderte Nat mit sanfter Stimme. »Ich hasse Ungerechtigkeit ebenso sehr wie Sie, besonders im Fall einer unschuldigen jungen Dame. Und ich kann Douglas Roth nicht ausstehen.«
Lucien brachte kaum ein Lächeln zustande, sondern nickte einfach, wandte sich um und ging zur Tür.
»Lord Litchfield?«
Lucien hielt inne und sah über seine Schulter.
»Versuchen Sie, ein wenig zu schlafen«, sagte Nat. »Und Sie sollten versuchen, etwas zu essen. Sie können dem Mädchen nicht von Hilfe sein, wenn Sie krank werden.«
Lucien öffnete die Tür und trat in die Halle hinaus. Nat hatte Recht. Er musste besser auf sich Acht geben. Er nahm sich vor, in die St. James Street zu fahren und bei White’s, seinem Club, etwas zu essen. Er hatte sich gerade mit dem Gedanken angefreundet, als plötzlich Kathryns Bild wieder vor ihm auftauchte, hungrig und schmutzig, ihre Augen voller Angst und Verzweiflung. Er drängte das Bild beiseite und stieg in seine Kutsche, doch er fuhr nicht in die St. James Street.
Der bloße Gedanke an Essen drehte ihm den Magen um.
Acht Tage waren inzwischen vergangen. Acht endlose, erniedrigende Tage ohne Nachricht von Lucien. Vielleicht hatte der Marquis sie einfach vergessen. Oder vielleicht hatte er ihr ja nie wirklich helfen wollen. Oder er hatte mit ihrem Onkel gesprochen, und Douglas Roth hatte ihn davon überzeugt, dass sie tatsächlich verrückt war.
Aus welchem Grund auch immer hatte die Hoffnung, an die sie sich so sehr geklammert hatte, zu schwinden begonnen. Allein der kleine Michael war in der Lage gewesen, sie ein wenig von ihren Sorgen abzulenken. Sein Lachen, das von den schmutzigen, schlecht beleuchteten Gängen widerhallte, gab ihr die Kraft und den Willen, weiterzumachen. Sie machte sich große Sorgen um die Last, die sie in die Tiefe zu ziehen drohte wie ein Gewand aus Eisen. Warum war es dieses Mal nur so viel schlimmer als früher?
Vielleicht weil sie ein paar Tage lang das Leben hatte führen können, an das sie gewöhnt gewesen war, als ihr Vater noch lebte, und weil sie damit die Erinnerungen an jene Tage in einem warmen, komfortablen Haus geweckt hatte. Oder vielleicht, weil ihre Flucht missglückt war und sie sich gezwungen sah, den Tatsachen ins Auge zu blicken. Selbst wenn es ihr gelang zu fliehen, würde ihr Onkel sie finden, egal, wie weit sie flüchtete und an welchem Ort sie sich aufhielt. Er konnte es sich einfach nicht leisten, die Kontrolle über sie zu verlieren. Er brauchte ihr Geld, und er würde alles in seiner Macht Stehende tun, um es zu behalten.
Sie hörte, wie sich jemand der Zelle näherte, doch ihre Furcht vor den Wachen war nicht mehr so groß wie früher. Eines hatte der Marquis tatsächlich erreicht, als sie sie in seinem Schloss abgeholt
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