Suendiger Hauch
Mama, es ist gewiss ein Missverständnis.« Allison ging durch den Raum, in dem die Baronin an ihrem Französischen Sekretär saß und die bedruckten Einladungen sortierte, die bereits adressiert waren und in Kürze verschickt werden sollten.
»Ich bin sicher, dass es wahr ist«, gab ihre Mutter zurück.
»Gladys sagt, dass gestern zwei Männer ins Schloss kamen. Sie erzählten dem Marquis, dass zwei Banditen in St. Bart’s eingedrungen sind und Lady Kathryn entführt haben. Sie sagten, sie seien besorgt wegen der Sicherheit von Lady Kathryn, solange sie sich in Gesellschaft dieser Männer aufhielte, und fragten, ob er irgendetwas wüsste, das ihnen weiterhelfen würde, oder ob er eine Idee hätte, wohin sie sie gebracht haben könnten.«
»Warum sollte der Marquis etwas darüber wissen? Und wer in aller Welt würde eine Verrückte entführen?«
»Das weiß ich nicht. Trotzdem bin ich zutiefst enttäuscht. Ich missbillige sehr, dass Seine Lordschaft, wenn auch nur in geringem Ausmaß, sich in eine derart skandalöse Angelegenheit verwickeln lässt. Gerade heute Vormittag hatten dein Vater und ich ein ausgiebiges Gespräch darüber.«
Allison blieb vor dem großen vergoldeten Spiegel über dem Kamin stehen und überprüfte ihr Äußeres. »Und?« Sie arrangierte ihr Fischbeinmieder unter ihrem pfirsichfarbenen Seidenkleid, das gerade kurz genug war, um den Blick auf ihre Strümpfe freizugeben.
»Und dein Vater hat zugestimmt, sich dieser Sache, natürlich sehr diskret, anzunehmen. Wenn der Marquis etwas mit dem Verschwinden von Lady Kathryn zu tun hat -«
Allison sog scharf den Atem ein, was ihre Mutter mitten im Satz innehalten ließ. »Du willst doch nicht etwa sagen ... ? Du und Papa glaubt doch nicht, dass der Marquis etwas mit dem Verschwinden von Lady Kathryn zu tun hat? Warum, um alles in der Welt, sollte er etwas Derartiges tun?«
»Ich behaupte ja nicht, dass er für ihre Entführung verantwortlich ist. Dennoch war er strikt gegen ihre neuerliche Einweisung, wie du dich vielleicht erinnerst.«
»Ich glaube, du irrst dich, Mutter. Lucien würde sich nie in eine derartige Situation bringen.« Doch in Wahrheit war sie alles andere als überzeugt von ihren Worten. Was wusste sie eigentlich über den Marquis of Litchfield? Außer, dass er gut aussehend, reich und von adliger Geburt, der begehrteste Junggeselle Londons war und dass sie von sämtlichen Damen der Gesellschaft glühend um ihre Heirat mit ihm beneidet wurde, wusste sie fast nichts über ihren Verlobten.
»Was immer auch vorgefallen sein mag«, fuhr ihre Mutter fort, »in Kürze werden wir die Wahrheit wissen. Dein Vater hat einen Detektiv engagiert, der sich darum kümmern wird, einige Details über diese Sache herauszufinden. Er wird alles Notwendige unternehmen, damit du in Sicherheit bist und der gute Name deines zukünftigen Gatten nicht gefährdet wird.«
Allison entspannte sich ein wenig. Sie wusste, dass ihre Eltern sich diese Hochzeit sehr wünschten. Ihr Vater war voller Bewunderung für den Marquis und wollte, dass ihr ein Leben in Ansehen und Reichtum zuteil wurde, wie ein Aristokrat wie Litchfield es bieten konnte, während ihre Mutter auf das Prestige aus war, das sie durch die Heirat ihrer Tochter mit einem Mann seines Standes erlangen würde.
Fest stand, ihre Eltern würden sich, aus welchen Gründen auch immer, um die Lösung ihrer Probleme kümmern. Allison konnte sich also getrost wieder mit dem Buch über Damenmode beschäftigen, in dem sie gerade geblättert hatte, voller Zuversicht, dass sich alles zu ihrem Besten regeln würde.
Winifred Montaine DeWitt stieg aus der schlichten Kutsche ohne Familienwappen, die vor der Jagdhütte hielt. Sie war erst wenige Schritte auf das Häuschen zugegangen, als die Tür aufflog und Kathryn Grayson herausgelaufen kam.
Winnie breitete die Arme aus, und Kathryn stürzte sich ohne eine Sekunde des Zögerns hinein.
»Ich freue mich so, dich zu sehen«, sagte Kathryn, während sie Winnie so innig umarmte, dass sie fühlte, wie die Tränen in ihren Augen aufstiegen. »Lucien ... ich meine, der Marquis, sagte, dass du kommen würdest, aber ich war mir nicht ganz sicher.«
»Mach dich nicht lächerlich. Natürlich komme ich.« Arm in
Arm gingen sie in die Hütte zurück. »Ich wäre schon früher gekommen und, ehrlich gesagt, war ich außer mir vor Wut, weil Lucien mir nicht erzählt hat, dass er dich entführen wollte.«
Kathryn lächelte. Sie sah inzwischen wesentlich besser aus, und
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