Sündiges Abenteuer: Roman (German Edition)
neuesten Stand zu sein.
Lady Fanchere lächelte und spielte mit den Fransen ihres Schals. »1839 wurde die Akademie der Gouvernanten von drei adeligen, jungen Damen begründet, deren Ziel es war, verarmte, junge Damen auszubilden und ihnen Stellungen als Gouvernanten und Gesellschaftsdamen in respektablen Familien zu verschaffen. Nachdem diese drei Frauen gut verheiratet waren – sogar sehr gut –, verkauften sie die Akademie an Lady Adorna Bucknell, die, wie wir ja alle wissen, über jeden Zweifel erhaben ist.«
Die Ladys nickten. Sie waren von Lady Fancheres Erzählung fasziniert.
»Lady Bucknell … arbeitet?« Missbilligend verzog Lady Nesbitt den Mund.
»Lady Bucknell hat eine so überragende Stellung in der englischen Gesellschaft inne, dass sie tun und lassen kann, was sie will. Dazu gehört auch die Vergrößerung der Akademie für Gouvernanten, die seither jungen Frauen von hoher Geburt auch andere Karrieren eröffnet.« Lady Fanchere legte die Hand auf Emmas Arm. »Frauen wie meiner lieben Gesellschafterin.«
Emma war ebenfalls fasziniert. Die Erkenntnis, dass Lady Fanchere nicht nur über die Akademie der Gouvernanten und den märchenhaften Aufstieg der Gründerinnen Bescheid wusste, war ebenso beeindruckend wie die Feststellung, dass Lady Fanchere in dieser Gruppe Frauen eine so hohe Stellung genoss, dass niemand auf die Idee kam, ihre absurde Geschichte in Frage zu stellen, wie sie Emma in ihre Dienste genommen hatte.
»Gibt es noch andere Gesellschaftsdamen in Moricadia, die von der Akademie der Gouvernanten ausgebildet wurden?«, fragte eine der jüngeren Frauen.
»Nein, Alceste. Aber sie genießen in aller Welt einen guten Ruf, weil sie qualifizierte Hilfe anbieten. Ich bin sicher, du könntest nach England schreiben und …«
Alceste schüttelte den Kopf, ehe Lady Fanchere den Satz beenden konnte. »Yves wäre höchst ungehalten über so viel Extravaganz. Er ist ein guter Mann, aber er hält das Geld lieber zusammen.«
Das Gespräch wandte sich den Ehemännern und deren Knauserigkeit zu.
Emma dachte, es sei wirklich das Beste, sich sofort in ihre Pflichten einzuarbeiten. Dann bliebe ihr keine Zeit, über den Verlust ihrer Habseligkeiten nachzugrübeln, die sie in Lady Lettices Hotelzimmer hatte zurücklassen müssen. Sie wusste, Lady Lettice wäre niemals einverstanden, die Besitztümer herauszugeben. Es waren ja auch keine wertvollen Dinge darunter, sah man davon ab, dass sie für Emma sentimentalen Wert hatten. Die Miniatur ihres Vaters. Die abgegriffene Ausgabe Stolz und Vorurteil , die ihrer Mutter gehört hatte, an die sie sich nicht erinnerte. Die kleine Glasfigur eines Spaniels, die sie in Venedig gekauft hatte und die Lady Lettice bei einem ihrer Wutausbrüche zerbrochen hatte. Dem Spaniel fehlte daher inzwischen ein Bein. Der wollene Schal, den die Damen in Freyaburn gewebt und ihr zum Abschied geschenkt hatten. Ihre Tasche mit Instrumenten und Medikamenten …
Sie bemerkte, wie sie die Tränen wegblinzelte und fragte sich, wann sie nur eine so verängstigte Kreatur geworden war, die über den Verlust von ein paar Besitztümern weinte. Hatte Lady Lettice mit ihren Grausamkeiten sie so sehr geschwächt?
»Michael!« Lady Fancheres Stimme klang hocherfreut. »Ich freue mich sehr, dass Sie sich uns anschließen.«
Emma schaute auf und sah einen zerzausten, leutseligen Michael Durant, der mit der nachlässigen Eleganz eines Adonis im Angesicht seiner Bewunderer unter einem Türbogen lehnte.
»Meine liebe Lady Fanchere.« Er kam auf sie zu und küsste die ihm dargebotene Hand. »Und meine liebe Lady Nesbitt.« Die nächste Hand. »Lady Alceste.« Er begrüßte alle Damen und zeigte damit sehr deutlich, dass er die Zeit seines Hausarrests zu nutzen gewusst hatte, um sich bei den Frauen der moricadischen Gesellschaft einzuschmeicheln.
Emma beobachtete, wie jede Lady lächelte und unter seinem bewundernden Blick ganz flattrig wurde. Erneut verfluchte Emma im Stillen diesen Engländer, der zu faul war, um diesem luxuriösen Gefängnis zu entkommen. Ein Mann, der seiner eigenen Familie abschwor, um in einer fremden Gesellschaft herumzulungern.
Sein Blick streifte ganz kurz auch Emma, und es fühlte sich an, als habe ihr kleines Gespräch der vergangenen Nacht nicht stattgefunden. Er verbeugte sich kurz, dann nahm er den Platz an Lady Fancheres Seite ein.
Henrique brachte ein Tablett mit frischem Gebäck.
Emma begann, die Teller aus feinstem Porzellan zu verteilen und bot den
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