Sündiges Abenteuer: Roman (German Edition)
mir leid, ich kann mich einfach nicht erinnern, was genau passiert ist.« Sie drückte die Hand auf die Beule an ihrem Kopf und schloss die Augen. Sie versuchte, sich die Szene im Wald wieder ins Gedächtnis zu rufen. Da war ein Wolf, und etwas, das sie noch mehr ängstigte als der Wolf … ein Gesicht …
»Ihr erinnert Euch nicht?« Er klang verblüfft, geradezu begeistert. »Ihr erinnert Euch nicht, wie Ihr aus der Wildnis auf die Türschwelle der Fancheres gelangt seid?«
Sie öffnete die Augen und blickte wieder starr geradeaus. »Ich weiß, das klingt verrückt. Aber in Wahrheit war mein Gedächtnis bis zu diesem Zwischenfall ausgezeichnet.«
»Tja.« Er zuckte mit den Schultern. »Dann ist Eure Ankunft wohl ein Mysterium.«
»Ja.« Ihr Blick fiel auf ihre Hände, die sie zu weißen Fäusten geballt hatte.
Sie wollte nicht länger darüber reden.
Die Straße wand sich an einer langen Klippe entlang, die sich durch Wälder und an Wiesen vorbei fast durch das ganze Land zog. Zur Rechten befanden sich an den Hängen große Ch â teaus wie das von Lord und Lady Fanchere, aufgereiht wie Perlen auf einer Kette. Sie waren prächtig und verschwenderisch und boten einen Blick über die Täler zur Linken. Als der Karren eine Biegung umrundete, bot sich ihnen ein neuer Ausblick. Hier war die Klippe nicht mehr steil, sondern terrassenförmig und bildete so die Grundlage für die Hauptstadt Tonagra. Hier gab es die besten Hotels, Heilbäder und Restaurants, die allein dem Zwecke dienten, die betuchten Rastlosen auf ihrer Reise quer durch Europa zu versorgen, die auf der Suche nach den größten Abenteuern waren.
Hier hatte Lady Lettice ihre Räume im Hotel Moricadia genommen, und Emma zitterte bei der Vorstellung, mit dieser Frau konfrontiert zu werden. »Vielleicht ist sie ja nicht da«, sagte sie.
Durant folgte dem Gang ihrer Gedanken ohne Mühe. »Vielleicht nicht. Aber ich hoffe, dass sie da ist. Ich würde sie gerne gerecht dafür bestrafen, wie sie sich Euch gegenüber verhalten hat.«
Erschrocken rief Emma: »Sir! Ich suche keine Vergeltung.« Verunsichert fügte sie hinzu: »Also, ich meine, falls Ihr das plant.«
»Vergeltung ist ein sehr starkes Wort, und ich träume auf keinen Fall davon, Lady Lettice irgendwie zu schaden – zumindest nicht ernstlich. Aber ich hasse es, wenn jemand schikaniert wird.«
Darüber musste Emma erst nachdenken. Sie versuchte zu entscheiden, ob er damit andeutete, er habe vor, eine viel schlimmere Szene zu machen als die, die sie vor zwei Tagen erlebt hatte. Oder ob sie vielleicht seinen Worten mehr Bedeutung beimaß als von ihm beabsichtigt. Sie schaute ihn von der Seite an. Sein Blick war finster nach oben und leicht zur Seite gewandt. Die Straße führte wieder von Tonagra weg, die Aussicht ging jetzt wieder auf die steilen Berge. Sie folgte seinem Blick und bemerkte etwas, das ihrer Aufmerksamkeit bisher entgangen war.
Auf einem felsigen Gipfel ragte höher als alle anderen Gebäude einsam ein mittelalterliches Schloss auf. Es war riesig und zerklüftet, so ursprünglich wie ein Falkenhorst. Türme und Zinnen ragten wie Krallen in den strahlend blauen Himmel. »Was ist das?«
Er brachte das Pony vor den massiven Eisentoren zum Stehen. Dahinter lag ein hügeliges Anwesen. »Das ist das königliche Schloss von Moricadia. Es war lange Zeit das Zuhause der moricadischen Königsfamilie – jetzt lebt hier Fürst Sandre.«
»Es sieht aus, als könnte es problemlos einer Belagerung standhalten.«
»Absolut. Kein Gast gelangt ohne Fürst Sandres Einladung ins Schloss hinauf. Die Straße zur Zugbrücke windet sich an diesem Berg auf und ab, es wäre ihm ein Leichtes, jederzeit einen Angriff abzuwehren. Natürlich versucht in jüngster Zeit niemand mehr, das Schloss anzugreifen. Aber selbst wenn man einfach nur an einer Feier dort oben teilnehmen möchte, verlangt diese Straße einige sehr gute Pferde, die eine Kutsche ziehen.«
»Und das ist der einzige Weg nach oben?«
»Es gibt auch noch einen Pfad, der zum Dienstboteneingang führt. Dort liefern die Geschäftsleute die Lebensmittel für die Küche … und man trägt die Leichen hinaus.«
»Leichen?« Sie lachte verunsichert.
»Unter der Küche liegt der Kerker. Das ist kein besonders angenehmer Ort.« Er lächelte. Nur ein Verziehen seiner Lippen, das seine Zähne entblößte.
Sie betrachtete ihn faszinierend. Nie hatte sie erlebt, dass ein Mann so offen seine Angst und seine Abscheu zeigte. »Dort hat man Euch
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