Sündiges Abenteuer: Roman (German Edition)
wurde rasch aus dem Ballsaal in die Tiefen des Palasts geführt. Ein langer, spärlich beleuchteter Gang führte zu dem hellen Vorraum. Mit einem Knicks ließ das Mädchen Emma dort zurück. Im Vorraum saß ausgerechnet die Countess Martin. Sie beugte sich zum Spiegel vor und schminkte ihre Lippen rot.
Emma machte einen Knicks und eilte in die angrenzende Kammer. Sie hielt sich dort recht lange auf, weil sie hoffte, Countess Martin sei in der Zwischenzeit wieder gegangen. Doch als sie aus der Kammer hervortrat, saß die Frau noch immer dort. Sie wirkte in rotem Satin und schwarzer Spitze einfach überwältigend und sinnlich.
Sie rekelte sich in dem Stuhl und beobachtete Emma, die ihre Hände und das Gesicht mit Wasser benetzte. Dann reichte sie ihr ein Handtuch und erklärte: »Ihr habt Angst vor mir.«
»Ja. Nein. Es ist … ja.«
»Weil Lady de Guignard Euch erzählt hat, ich könne die Zukunft voraussehen?«
»Lady de Guignard ist ziemlich wunderlich, das weiß ich schon.«
»Aber es stimmt.«
Die Lady war ziemlich freimütig. Geradezu unverblümt und zudem auf ihre Art sehr beängstigend. Emma wusste nicht, wie sie sich aus diesem Gespräch herauswinden sollte. Vorsichtig erklärte sie: »Sie meint, Ihr habt auf den Händen Male.«
»Das stimmt.« Countess Martin streifte die Handschuhe ab und zeigte Emma ihre Hände. Dunkle Augen starrten sie von den Handflächen an. Augen, die ägyptisch und exotisch wirkten.
»Ist das ein Muttermal, das in Eurer Familie vorkommt?«, fragte Emma schwach.
»Das weiß ich nicht. Ich wurde als Baby ausgesetzt. Man ließ mich auf König Reynaldos Grab zurück, ein alter Mann fand mich dort. Er wollte nichts mit einem Kind zu schaffen haben, weshalb er mich an die Nonnen im Waisenhaus weitergab. Sie haben mir erzählt, er sei zurückgekehrt und habe behauptet, er sei mein Vater und wolle mich wiederhaben, nachdem das Gerücht in Umlauf kam, ich hätte Male auf den Händen. Sie glaubten ihm nicht und rückten mich nicht wieder heraus. Sie glaubten hingegen, ich sei vom Teufel gezeichnet – oder für den Teufel. Was genau sie glaubten, habe ich nie herausfinden können. Sie waren wild entschlossen, mir das Böse auszutreiben.« Sie erzählte die Geschichte ohne Selbstmitleid. Es klang sogar, als sei sie an ihrem eigenen Schicksal nicht besonders interessiert.
Dieses fehlende Mienenspiel ließ Emma das wahre Ausmaß der Tragödie begreifen. Sie zog einen Stuhl heran. »Das tut mir leid.«
Countess Martin lächelte müde. »Das glaube ich Euch sogar. Ihr seid mitfühlend, obwohl Ihr selbst kein allzu leichtes Leben führt.«
»Was ist dann passiert?«
»Ich hatte Glück. Ich wuchs zu einer Schönheit heran. Das ist durchaus hilfreich, wenn man versucht, aus der Gosse zu kriechen – oder einem Konvent zu entkommen. Zuerst schaffte ich es, Count Martins Aufmerksamkeit zu erregen. Er hat sich oft genug lauthals beklagt, ich hätte ihn verhext. Aber machen wir uns nichts vor: Er hat sich gerne verhexen lassen. Danach richtete ich meinen Blick auf Fürst Sandre.« Countess Martin lächelte, doch dabei biss sie die Zähne zusammen. »Ich bekam ihn, aber ich habe ihn nicht halten können. Ich denke, mit dem Wissen, das ich jetzt habe, kann ich mich glücklich schätzen, ihm entkommen zu sein.«
Emma nickte.
»Ich habe auch andere zu verführen versucht. Habe sie mir genommen, wenn mir der Sinn danach stand. Wenn ich von ihnen gelangweilt bin, erzähle ich meinem Ehemann davon. Aber ich berühre keinen von ihnen. Nur, wenn ich die Handschuhe trage.«
»Was meint Ihr damit?«
»Wenn ich eine Person berühre, kenne ich ihre Zukunft. Erbärmlich, kurz, tragisch, schnapstriefend oder im Laudanumwahn. Gichtgeplagt oder verarmt, ich erkenne jedes traurige Ende. Ich will es nicht wissen, deshalb halte ich sie alle auf Distanz und halte mich lieber an Count Martin. Er ist langweilig, doch er wird lange leben und einen plötzlichen Tod im Schlaf sterben.« Heftig fügte Countess Martin hinzu: »Der glückliche Bastard.«
Emma starrte sie an. Erst in diesem Augenblick traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag, dass das Wissen um die Zukunft auch bedeutete, von zukünftigen Tragödien zu wissen.
»Aber etwas an Euch zieht mich an. Ich will Eure Zukunft kennen. Oder zumindest will ich Euch Eure Zukunft weissagen. Irgendetwas ist da … Ich verstehe nicht, warum ich mich in bestimmten Fällen berufen fühle, die Zukunft vorauszusagen. Es ist eben so.« Countess Martin hielt ihr die
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