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Suess und ehrenvoll

Suess und ehrenvoll

Titel: Suess und ehrenvoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Avi Primor
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ab. Freu dich lieber, dass wir die Kirche benutzen dürfen. Vielleicht verdanken wir das dem Umstand, dass der örtliche Priester Franzose ist und deshalb nicht um Erlaubnis gefragt wird.«
    Es fanden sich am Ende mehr Juden ein, als Ludwig gedacht hätte. Zu jener Zeit hielten sich etwa zweitausend Soldaten aus verschiedenen Einheiten im Feldlager auf. An dem Gottesdienst nahmen fast hundert jüdische Soldaten teil. »Und das, obwohl die Juden noch nicht einmal ein Prozent der deutschen Bevölkerung ausmachen!«, flüsterte Johann erstaunt.
    »Richtig«, erwiderte Ludwig und konnte es nicht lassen, eine kleine Spitze hinzuzufügen: »Und orthodoxe Juden gibt es noch weniger.«
    Dr.Nobel, der Rabbiner, sprach die Gebete in deutscher Sprache. Fast noch wichtiger aber schien ihm das, was er in einer kleinen Ansprache sagte: »Was ausnahmslos alle Juden in Deutschland vereint, ist unsere absolute Treue zum deutschen Vaterland und unsere Bereitschaft, unser Leben dafür hinzugeben. Und das werden wir in diesem Gottesdienst zum Ausdruck bringen.«
    In der Tat enthielt das vom Rabbinerrat der deutschen Juden herausgegebene Gebetbuch zahllose Lobpreisungen des Kaisers und Fürbitten für einen Sieg des deutschen Heeres über »die verbrecherischen Feinde«. Ludwig notierte sich einige Passagen, um sie in seinem nächsten Brief an Karoline zu zitieren:

    V or dem Schall der Kriegstrompeten weichen die Völker, denn die Feinde Deutschlands, unseres höchsten Guts, schmieden Ränke, um unseren ruhmreichen König zu verderben.
    Im Namen des Herrn, unseres Gottes, werden wir erstarken … und den Herrn der Heerscharen heiligen und preisen.
    Beschütze unsere Krieger, die in der Blüte ihrer Jahre mit starker Hand in den heiligen Krieg gegen den Widersacher und Unterdrücker ziehen. Gewähre ihnen Beistand, beflügele sie mit Deinem Geist, führe sie mit Deiner Rechten, spende ihnen Trost.
    Rette unser geliebtes Deutschland, denn seine Feinde sind zahlreich: Lasse unsere Krieger nicht erschlaffen und straucheln, und gib, dass unsere Feinde auf sieben Wegen fliehen.
    Als sie aus der Kirche kamen, fragte Ludwig seinen neuen Kameraden: »Nun, hat dich etwas an diesem Gottesdienst gestört?«
    »Nein«, antwortete der sichtlich bewegte Johann, »jedes Wort war mir aus der Seele gesprochen.«

11
    Viel zu bald war der Urlaub vorbei. Einen Tag vor dem Abmarsch wurden alle Soldaten der Kompanie aufgefordert, ihre Ausrüstung abzuholen.
    Während sie im Lastwagen zur Front fuhren, bemühte sich Ludwig, den aufgeregten Johann zu beruhigen. Sein junger Kamerad saß kreidebleich, mit eingesunkenen Augen, in sich gekehrt und schweigend neben ihm. »Du wirst sehen, Johann, die Angst vergeht sofort, wenn wir die Schützengräben erreichen. Mir ist es früher genauso gegangen. Aber das ist nur die Angst vor dem Unbekannten…«
    Als sie mitten in der Nacht die Front erreichten und jeder sich einen winzigen Platz im engen Schützengraben suchte, merkte Ludwig, dass sein Schützling das Gleichgewicht verlor. Er schwankte, als würde er jeden Augenblick in Ohnmacht fallen. »Was hast du?«, raunte ihm Ludwig ins Ohr.
    »Ich krieg keine Luft«, flüsterte Johann mit erstickter Stimme. »Dieser grässliche Gestank!«
    »Luft hast du genug, du bist unter freiem Himmel. Der Gestank kommt von den Leichen, die zwischen unseren und den französischen Linien liegen, und solange wir sie nicht beerdigen können, müssen wir darunter leiden. Keine Sorge, daran wirst du dich gewöhnen.«
    »Gewöhnen?«, begehrte Johann auf. »Wie kann man sich daran gewöhnen? Wann werden die Toten beerdigt?«
    »Das weiß kein Mensch«, erwiderte Ludwig. »Manchmal bleiben sie einen Monat liegen, aber es hat auch schon länger gedauert, bis es einen Waffenstillstand gab und beide Seiten ihreToten bergen konnten. Vorausgesetzt, dass die Gefallenen überhaupt noch als Franzosen oder Deutsche identifiziert werden können. Wenn das nicht möglich ist, begräbt jede Seite diejenigen, die ihren Frontlinien am nächsten liegen.«
    Ludwig konnte im Finstern Johanns Gesicht kaum erkennen, doch er ahnte, dass es dem jungen Rekruten schlecht ging. Rasch versuchte er, ihm etwas Wasser aus seiner Feldflasche einzuflößen, doch zu spät: Johann brach ohnmächtig zusammen. Ludwig konnte ihn gerade noch auffangen, bevor er im Schlamm landete.
    Am Morgen herrschte Ruhe an der Front. Bei Tageslicht konnten die Soldaten sich in ihrem Graben einrichten. Johanns Gesicht hatte wieder etwas

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