Süß wie die Sünde: Roman (German Edition)
weggeworfen, indem sie ihm schreckliche Dinge sagte. Ebenso gut hätte sie ihn ohrfeigen können.
»Danke«, sagte sie schließlich.
Harry hüstelte ein wenig. »Ich glaube übrigens, dass Mrs Samuel versucht, mich zur Heirat mit einer der Miss Samuels zu bewegen.«
Marissa hob den Kopf. »Ach ja? Welche?«
»Mein Eindruck war, dass es ihr gleich ist. Sie findet, dass sie beide dringend heiraten müssen.«
Nun, Mrs Samuel war eine überaus praktisch veranlagte Frau. Wie Beth erzählte, war das höchste Ziel ihrer Mutter, beide Mädchen zu verheiraten, damit sie versorgt waren, sollte sie abermals krank werden. »Und ziehst du eine von beiden vor?«
»Mit dieser Frage habe ich mich noch nicht näher befasst. Miss Nanette Samuel schient ziemlich lebhaft. Ich bin nicht sicher, dass sie eine ideale Gemahlin wäre.«
Marissa wusste nicht, ob sie sich für Beth freuen oder gekränkt sein sollte, weil Harry die Sache so herzlos anging. Aber vermutlich kamen die meisten Ehen so zustande. »Beth ist meine engste Freundin, und sie ist ein wunderbarer Mensch.«
»Ja, sie ist recht nett, nicht wahr? Ich werde es mir überlegen. Sie ist zurückhaltend und hübsch anzusehen, und ich denke, wir passen gut zusammen.«
Marissa nickte, obwohl es ihr bizarr vorkam. »Willst du denn keine Frau finden, die du liebst, Harry?«
»Gewiss ergibt sich die Liebe mit der Zeit von allein. Ich weiß, dass unsere Familie solcherlei mit ein bisschen mehr Feuer angeht, doch ich habe wohl ein weniger leidenschaftliches Naturell.«
Marissa musste schmunzeln. »Was verwunderlich ist, bedenkt man dein schauspielerisches Talent. Zu schade, dass du aus vornehmem Hause bist, Harry, sonst könntest du in London auf der Bühne stehen.«
Für einen kurzen Moment verzog er sein Gesicht, bevor er sich wieder fasste. »Das würde mir gefallen, glaube ich. Ich gestehe, dass ich mich bisweilen etwas überflüssig fühle.«
»Wie das?«
»Edward trägt die Verantwortung, die mit dem Titel einhergeht. Aidan hat seine große Firma. Und ich … ich bin eigentlich nur ein angenehmer Zeitvertreib. Ich habe meine Zeit hier immer genossen, wie gesagt, aber manchmal denke ich, dass ich mich nützlich machen und Geistlicher werden sollte.«
»Geistlicher? Gütiger Gott, ich kann mir dich beim besten Willen nicht als Vikar vorstellen!«
Er grinste. »Mutter hält eine Menge von der Idee. Und ich könnte zweifellos einen eindrucksvollen Vikar abgeben.«
»Tja, deine Predigten wären sehr lebendig. Du würdest wahrscheinlich alle Gleichnisse aus der Bibel mit Shakespeare-Szenen veranschaulichen.«
»Du hast recht! Vielleicht kann ich doch noch ein Kirchenmann werden.«
Marissa lachte, wurde aber gleich wieder ernst und nahm seine Hände. »Ich verstehe, was du meinst, Harry. Mir geht es sehr ähnlich. Was habe ich schon zu tun, außer zu heiraten? Du hingegen bist ein Gentleman, hast dein Einkommen. Du kannst doch tun, was immer du willst.«
»Und was sollte das sein?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Reisen, zum Beispiel. Geh nach Afrika, sieh dir den Orient an. Es ist ja nicht so, als wärst du ein mittelloser Verwandter und gezwungen, hier zu bleiben.«
»Nein, ich schätze, mir gefällt es einfach. Afrika, hm?« Er schien zu überlegen. »Nein, dafür mag ich diese Familie zu sehr, von den Bequemlichkeiten Englands ganz zu schweigen. Und wer würde deine Mutter unterhalten, wenn ich auf und davon segle?«
»Ich würde behaupten, dass sie sich glänzend selbst unterhalten kann.«
Beide lachten noch, als Jude in den Salon kam, sein Haar zerzaust und die Miene finsterer denn je.
Marissas Lächeln erstarb, sobald sie seinem eisigen Blick begegnete. Sie stand auf und bemerkte, dass die Stickarbeit auf den Boden fiel.
»Sie war es nicht«, sagte er schlicht und wandte sich wieder zum Gehen.
Das war alles. Sie war es nicht. Kein Wort darüber, ob Mrs Wellingsly ihn liebte, woher er wusste, dass sie es nicht war, oder was geschehen war, als sie endlich mit ihm allein war.
Jene schrecklichen Bilder, die schon den ganzen Tag durch Marissas Kopf geisterten, wurden besonders klar. Natürlich musste Jude unter vier Augen mit Mrs Wellingsly reden. Er war gewiss schroff gewesen, woraufhin sie ihm ohnmächtig in die Arme sank. Und dann?
Marissa ging zur Tür, wollte Antworten auf ihre Fragen verlangen, doch Jude war nicht mehr in der Diele.
Sie blickte gerade rechtzeitig auf, dass sie seinen Schatten oben an der Treppe sehen konnte, wo er um die Ecke
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