Sueße kleine graue Maus
Für ihn würde es eine neue Erfahrung bedeuten. Sie war so ganz anders als die Frauen, die er sonst vernaschte. Davon konnte er den Jungs in der Umkleidekabine berichten.
»He, Kameraden, ihr glaubt ja nicht, wie verrückt sie nach ein paar Streicheleinheiten war.« Konnte ein Mann noch egoistischer sein? Rana wußte jedoch aus eigener Erfahrung, daß es keine Grenze nach oben gab, was das Ausnutzen anderer Leute anbetraf.
Deshalb hatte sie heute Abend ihr anderes Ich, Miss Ramsey, dazu benutzt, sich zu rächen. Es war ein Triumph über jeden Mann, der jemals eine Frau ausgenutzt hatte, einfach weil es ihm in den Kram paßte und sie leicht zu haben war.
Als sie endlich einschlief, fühlte sich Rana wie reingewaschen. Warum hatte sie nicht schon viel früher Rückgrat gezeigt? Warum erfuhr sie erst jetzt nach all den Jahren voller Liebeskummer und Enttäuschungen, daß die Welt nicht stillstand, wenn sie sich nicht alles gefallen ließ und sich wehrte?
Am nächsten Morgen trat Rana aus ihrem Bad, gähnte und streckte sich. Da fiel ihr Blick auf den Zettel, der unter der Tür durchgeschoben worden war. Für einen Augenblick erstarrte sie mitten in der Bewegung, dann ließ sie langsam die Arme sinken und starrte auf das zusammengefaltete Blatt Papier. Im ersten Moment entschied sie, es einfach zu ignorieren. Doch dann siegte ihre Neugier. Sie bückte sich und hob es auf.
Sie hatten absolut recht. Ich habe mich wirklich blöd benommen. Es tut mir leid. Wollen wir einen Waffenstillstand unterzeichnen, eine Friedenspfeife rauchen oder zusammen joggen? Das letztere wäre mir am liebsten. Ich nehme es als Zeichen Ihrer Vergebung, wenn Sie mitkommen. Bitte.
Keine Unterschrift. Aber wie viele Leute hatte Rana gestern als blöd bezeichnet? Und diese entschlossenen, männlichen Schriftzüge konnten nur von einer Person stammen.
Trotz ihrer Wut vom vergangenen Abend mußte Rana lächeln. Sie faltete den Zettel zusammen und trat ans offene Fenster. Sie starrte hinaus, nahm aber das taufrische Gras und die Landschaft, über der schon das Versprechen eines neuen heißen Tages lag, nicht wahr.
Immerhin hatte er so viel Anstand gezeigt, sich zu entschuldigen. Durfte sie nun seine Entschuldigung einfach ignorieren? Konnte sie das nicht zumindest akzeptieren?
Es war noch sehr früh. Die Sonne ging gerade auf, und die Luft duftete frisch und würzig. Ein Lauf am Strand entlang würde ihr guttun. Er würde ihren Körper trainieren und ihren Kopf klären. Wenn sie dann an ihre Arbeit ginge, würden die Ideen nur so aus ihrer Feder fließen.
Bevor sie es sich noch anders überlegen konnte, eilte sie zum Schrank und holte ihren Jogginganzug heraus. Schnell zog sie sich an, schnürte hastig die Turnschuhe zu, setzte die Brille auf und öffnete rasch ihre Apartmenttür.
Trent wartete schon auf dem Flur und betrachtete nachdenklich die Spitzen seiner Joggingschuhe. Als er Rana kommen hörte, schaute er auf, senkte aber schnell wieder den Blick.
»Hallo.« Seine Stimme klang vorsichtig.
»Guten Morgen.«
Er betrachtete ihr Aussehen als gutes Zeichen. Sie trug einen grauen Jogginganzug, so schlechtsitzend und eingebeult wie all ihre Kleidungsstücke, Turnschuhe und eine Baseballmütze. Trent versuchte, sich eine Situation vorzustellen, in der er ihr die Brille abnehmen würde. Sie würde das Haar zurückwerfen und sich in eine verführerische Sexbombe verwandeln, so wie es immer in schlechten Liebesfilmen mit diesen unscheinbaren Bibliothekarinnen geschah. Er bezweifelte allerdings ernsthaft, daß in Ranas Fall eine solche Verwandlung überhaupt möglich wäre.
»Fertig?« fragte er.
»Sieht aus, als wäre es gerade die rechte Zeit zum Laufen. Nicht zu feucht.« »Verglichen womit?« Trent hob eine Augenbraue und sah sie fragend an.
»Verglichen mit dem brasilianischen Regenwald.«
Er grinste und wies mit dem Kopf auf die Treppe. »Nach Ihnen. Und eins kann ich Ihnen jetzt schon sagen - das ist das letzte Mal, daß Sie mir heute voraus sind.«
Sie fuhren mit dem Wagen zum Strand. Trent runzelte die Stirn, als der Motor von Ranas altem Gebrauchtwagen beim Anlassen erst einmal nur ein Stottern von sich gab. Aber es war schon besser, ihren Wagen zu nehmen. Die feuchte Salzluft am Strand konnte ihm nicht mehr viel anhaben.
Zuallererst machten sie ein paar Lockerungsübungen. Trent staunte über Ranas Gelenkigkeit. Sie konnte sich mühelos mit durchgedrückten Knien nach vorn beugen und mit den Handflächen den Boden berühren.
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