Süsse Küsse und unschickliche Geheimnisse
erinnerte sich an die Szene, kurz bevor Treybourne das Haus verließ. „Ich habe oft gedacht, Anna werde sich bis zu dem Moment von ihrem Ehrgefühl leiten lassen, da ihr Herz betroffen sein würde.“
„Du glaubst, sie empfinden etwas füreinander?“ Nathaniel gefiel der Gedanke ganz offensichtlich nicht.
Robert zögerte. „Ich denke, es gibt gewisse zärtliche Gefühle zwischen ihnen.“ Er hatte noch nie einen solchen Ausdruck in Annas Augen gesehen wie vorhin. Er hätte eingreifen sollen, aber Treybourne hatte ihr nur einen Kuss auf das Handgelenk gegeben. Als er dann jedoch die Wirkung sah, die dieser harmlose Kuss auf Anna ausübte, wünschte Robert, er wäre eingeschritten.
„Wenn etwas zwischen ihnen ist, warum hält Treybourne nicht um sie an? Sie stammt zwar nur vom Landadel ab, aber ihr Vater war ein Baronet, was ein respektabler Titel ist. Mit dem Vermögen aus den Ländereien seines Großvaters und dem, was er später mit dem Titel erben wird, braucht er doch nicht wegen des Geldes zu heiraten.“
„Sie würde ihn allerdings sofort abweisen, wenn sie wüsste, wer er wirklich ist“, gab Nathaniel zu bedenken.
Robert überlegte kurz und schüttelte den Kopf. „Ich glaube eher, dass Treybourne sehr gute Chancen hat. Er braucht die Sache nur klug genug anzugehen und angemessene Reue zu zeigen. Was ist es also, das ihn davon abhält? Warum musste er unter falschem Namen hier auftauchen?“
Nathaniel nickte langsam. „Er hat etwas zu verheimlichen. Etwas, das sie trennen würde.“
„Er hat Leute beauftragt, Goodfellow aufzuspüren. Und wir sollten das Gleiche tun und herausfinden, was Dursbys Erbe zu verbergen hat.“
„Anna …“, begann Nathaniel.
„Wir brauchen sie nicht zu verletzen. Wenn er der Ehrenmann ist, für den du ihn hältst, wird er sie nicht ausnutzen. Es wird nicht nötig sein, ihn vor ihr oder sonst jemandem schlecht zu machen, wenn er tut, was er verspricht, und verschwindet, sobald er den Artikel gesehen hat.“
Nathaniel blickte finster vor sich hin. „Hoffen wir nur, dass er nicht die Wahrheit herausfindet.“
14. KAPITEL
Die Wörter wollten nicht kommen, die Tränen hingegen ließen sich nicht aufhalten.
Fast waren schon alle Kerzen heruntergebrannt, und immer noch konnte Anna sich nicht dazu durchringen, die Wahrheit über Mr. Archers wahre Identität zu akzeptieren. Goodfellows nächster Artikel litt merklich darunter. Wieder wischte sie einen ganzen Absatz von der Schiefertafel.
Papier war zu kostbar, um verschwendet zu werden, besonders wenn sie selbst nach fünf Versuchen immer noch nicht mit dem Inhalt zufrieden war. Wieder und wieder musste sie an ihn denken. Die Art, wie er sie aus seinen faszinierenden blauen Augen angesehen hatte, wie er ihre Hand mit den Lippen berührt hatte, dass ihr heiß wurde. Und auch jetzt erschauerte sie in der Erinnerung daran. Seine Worte hatten so aufrichtig geklungen, so leidenschaftlich.
Zum Kuckuck mit dem Mann!
Wie hatte sie sich so vergessen können? Wie hatte sie so dumm sein können, die Täuschung nicht zu durchschauen? Insgeheim wünschte sie, sie hätte die Wahrheit erst nach der Fertigstellung von Goodfellows Artikel erfahren. Die Aufgabe war schon ohne ihren inneren Aufruhr schwierig genug. Sosehr sie auch versuchte, sich vom Gegenteil zu überzeugen, sie hatte ihren Feind zu nah an sich herangelassen, und nun fürchtete sie die möglichen Folgen.
Seufzend schloss sie die Augen und rieb sich die Stirn, als könne sie so Klarheit gewinnen, aber alles, was sie sah, war sein Blick, während er ihre Hand an die Lippen hob. Es kam ihr so vor, als würde sie in eben diesem Moment die aufregend zarte Berührung seines Mundes auf ihrer Haut spüren, und starrte erschrocken auf ihr Handgelenk. Doch nur ihr Puls beschleunigte sich wieder, und sie erschauerte noch einmal. Wieder kam ihr Atem schneller, und sie konnte es nicht fassen, dass eine so harmlose Berührung eine so große Erregung in ihr erweckt hatte.
Eine Erregung, wie sie sie noch nie erlebt hatte.
Eine Erregung, hervorgerufen durch den Mann, den sie am meisten verabscheute und der sich auf die erbärmlichste Art verhalten hatte, unwürdig eines Menschen von Stand und Ehre. Genau wie der Mann vor so vielen Jahren …
Anna schüttelte sich, um die Erinnerung zu vertreiben, trank den Rest ihres inzwischen erkalteten Tees und hoffte, er könne die ungehörigen Gefühle in ihr abkühlen.
Besonders unerträglich war, dass sie diese unrechten und doch so
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