Sueße Prophezeiung
Gegensatz zur übrigen Landschaft war kein Schnee auf dem schwarzen Stein liegen geblieben. Nur außerhalb der Form blinkte das reine Weiß des Schnees und betonte die Gestalt eines Mannes mit Flügeln. Jetzt war sie durch den scharfen Kontrast aus Schwarz und Weiß noch viel deutlicher zu erkennen. Dieses Wesen, dessen Schicksal die Rache besiegelt hatte.
Avalon trat näher. Der Wachtposten war vergessen. Das Mondlicht warf wandernde Schatten über den Stein, und die Wolken schufen zusätzliche graue Schleier, was den Eindruck von Bewegung erweckte. Atemzüge wölbten die Brust, die Flügel zitterten, die Arme bewegten sich.
Der Elf streckte sich am Felshang. Bis in alle Ewigkeit war er in seinem steinernen Verlies gefangen zur Strafe für Verrat und Grausamkeit ...
Nein, dachte Avalon und schloss die Augen, während sie den Kopf schüttelte. Nein, nein, es ist nicht real. Ihre eigenen Atemzüge wurden in dem stillen Tal immer lauter und umgaben sie mit frostigen Dämpfen. Als sie die Augen öffnete, war die Gestalt wieder zu Stein erstarrt. Nichts sonst. Nur Stein.
»Treulieb.«
Der Kosename ertönte dicht hinter ihr. Erfreulich und erschreckend zugleich – denn als sie herumwirbelte, um zu sehen, wer gesprochen hatte, war niemand da.
Nur in der Ferne kam eine einsame Gestalt den Weg herauf. Der Tartan flatterte im Wind. Die Person war jedoch noch zu weit entfernt, als dass sie irgendetwas von ihr hätte vernehmen können.
Das Mondlicht hüllte ihn in Schwarz und Silber. Sein langer Schatten folgte ihm seitlich im Schnee. Es war nicht der Wachtposten, sondern Marcus.
Mit ausgreifenden Schritten überwand er die Strecke zwischen ihnen. Hypnotisiert von seiner Kraft, seiner Eleganz, der Art, wie er mit der wilden Landschaft, die ihn umgab, verschmolz, beobachtete sie jeden einzelnen Schritt.
Er strahlte etwas aus, etwas, das direkt aus ihm zu dringen schien – keine Wut, kein Zorn, sondern etwas Neues, etwas anderes. Verlangen; allumfassend und mächtig, das sie nach seinen Wünschen formte und sie bewegungslos verharren und auf ihn warten ließ.
Als er nahe genug herangekommen war, schaute sie ihm in die Augen und sah dort nichts, vor dem sie sich hätte fürchten müssen. Was sie sah, waren elementarer und wilder Hunger und Begehren. Sein Anblick nahm den Zwillingsgeist, der in ihr lebte, gefangen. Bis jetzt hatte sie noch nicht einmal davon gewusst.
Als er sie erreichte, riss er sie in einer einzigen Bewegung in seine Arme, bemächtigte sich ihrer Lippen, was noch die Hitze anfachte, die zwischen ihnen loderte. Ihre Hände umklammerten seine Schultern und überwältigt schmolz sie in seinen Armen dahin, während jenes neue, rauere, elementare Empfinden, das in seiner Reinheit zum Tal, zum Mond und der kalten Luft passte, ihren Körper erbeben ließ.
Sein Kuss war direkt heftig zu nennen, doch er tat ihr nicht weh. Stattdessen erwiderte sie ihn mit der gleichen Inbrunst. Ihr Atem kam in kurzen Stößen und zeigte ihre Erregung an, die durch das Streicheln seiner Hände außerordentlich gesteigert wurde. Hart und drängend glitten sie unter ihrem Umhang über ihren Körper und zogen sie noch enger an sich, obwohl sie nicht gedacht hatte, dass dies möglich sei. Und trotzdem wollte er mehr, genau wie sie.
Er unterbrach den Kuss, um kurz aufzuschauen. Sie erhaschte den wilden Schimmer in seinen hellen, fast fiebrigen Augen. Er schaute zu etwas, das hinter ihr lag – der schattige Saum des Waldes, der außer Sicht von Sauveur lag – und ohne ein Wort zu sagen, begann er sie in diese Richtung zu ziehen, wobei er sie immer noch eng an sich presste, während ihre Füße dahinstolperten. Seine Hände, die von ihrem Umhang nicht behindert wurden, lagen groß und warm auf ihrem Rücken und Hinterteil. Ehe sie den Waldrand erreicht hatten, fing er wieder an, sie zu küssen. Dieses Mal vergrub er seine Finger in ihrem Haar, damit sie sich nicht mehr rühren konnte, obwohl sie gar keinen Widerstand leistete. Immer wieder neigte sich sein Mund über den ihren – grob, sie fast verschlingend erstickte er ihre Seufzer des Verlangens. Seine Hand unter ihrem Umhang glitt nach oben und fand ihre Brüste, die er sanft knetete. Ihren Lippen entrang sich ein Stöhnen, und wieder bedeckte er ihren Mund mit dem seinen, wobei er ihr gierig auch den letzten Rest von Luft raubte, der ihr noch geblieben war.
Er schob sie gegen einen Baumstamm, dessen kahle, mit Eis überzogenen Äste über ihr glitzerten. Sie spürte die
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