Sueße Prophezeiung
gekleidet gewesen, hatte wie eine Bäuerin gesprochen. Doch ein Blick in ihr Antlitz – die cremig-zarte Haut, der klare Schwung ihrer Brauen und natürlich diese Augen – sagte ihm, dass irgendetwas nicht stimmte.
Er konnte es sich nicht erklären. Zum Schluss war sie ihm kühn entgegengetreten und obwohl ihre Schönheit atemberaubend war, hatte er sie gehen lassen müssen.
Alles, was er gesehen hatte, war ein Mädchen mit mitternachtsschwarzen Wimpern und Augen, die bis in seine Seele schauten. Sowie süße kirschfarbene Lippen.
Und er verspürte reines, pures Verlangen.
Es raste schneller als eine Meeresflut, stärker als Opium oder Schmerz durch seinen Körper. Nur Verlangen, Begehren, nur der Wunsch, diese Frau, wer auch immer sie war, zu besitzen und an sich zu binden, bis das Verlangen gestillt und er wieder frei war, erfüllte ihn. Solche Empfindungen hatte er noch nie erlebt – weder in Jerusalem oder Kairo noch in Spanien. Dies war einzigartig.
Auch sie hatte die Kraft, die zwischen ihnen lag, gespürt. Das witterte er förmlich. Aber er hatte gedacht, dass es bei seinem Auftrag um eine andere Frau ginge, eine, die dabei war, den Clan durch eine unkluge Heirat mit einem anderen zu zerstören. Außerdem gab es zu viele Menschen, die sich einzig und allein auf Marcus verließen, als dass er Zeit gehabt hätte, sich mit einer geheimnisvollen Person aus einer Schänke abzugeben. Verlangen hin oder her.
Rosalind hatte ihre Schwester sie genannt.
Es hatte irgendwie nicht richtig geklungen. Aber ihm fiel kein Vorwand ein, bei den Dorfbewohnern diskrete Fragen über ein dunkelhaariges Mädchen namens Rosalind zu stellen. Er musste vor der Feier des Barons Pläne schmieden und seine Verpflichtungen im Auge behalten. Eigentlich war keine Zeit für Nachforschungen.
Aber er hatte sie trotzdem befragt.
Und natürlich wusste niemand etwas über solch ein Mädchen. Es gab zwar eine Rosalind, aber die war zu alt, hatte fünf Kinder und rotes Haar.
Denn schließlich war Rosalind nie ihr Name gewesen. Sie hieß Avalon, und wie auch immer, sie stand am Ende des Fluches. Gott sei Dank hatte er sie jetzt.
Balthazar ging zu Marcus, der an einem der Bäume lehnte und die Frau, die er bald heiraten würde, ganz unverhohlen beobachtete.
Lady Avalon hatte von jemandem einen Umhang bekommen und sich darin auf einem Lager aus Blättern, die in den verschiedenen Farben des Herbstes leuchteten, eingewickelt. Sie schien ihren Widerstand aufgegeben zu haben. Ihre Augen waren geschlossen. Das Haar verdeckte einen Teil ihres Gesichts.
»Es ist vollbracht«, meinte Balthazar. Das schwindende Licht ließ die Tätowierungen auf seinem Gesicht fast unsichtbar werden und löschte die exotischen Linien.
Marcus gab keine Antwort. Er wusste, dass es keineswegs vollbracht war und dass sein Freund eigentlich das Gegenteil meinte. Es war eine Gewohnheit von Balthazar, seine Rede mit Ironie zu spicken. Diese einzigartige Eigenschaft müssten die meisten Schotten erst noch lernen zu verstehen. Sie hatten den dunkelhäutigen Mann akzeptiert, weil er mit ihrem Laird nach Hause gekommen war. Ihrem Laird würden sie stets die Treue halten, auch wenn er so lange fort gewesen war. Doch mit seinen Tätowierungen, den langen Gewändern und den goldenen Ohrringen war Balthazar etwas, was die Highlander noch nie zuvor gesehen hatten. Und doch war das Äußere von Marcus’ Freund nicht ungewöhnlich, sondern im Orient so normal wie der Sand der Wüste. Aber da gab es noch etwas, das man den Schotten nicht erklären konnte.
Marcus hatte in beiden Welten gelebt. In den wilden Bergen des Hochlandes und in unversöhnlichen Wüstenstrichen. Wie sollte er die beiden für seinen Clan miteinander vereinen, wenn er es für sich selbst nicht einmal geschafft hatte?
Er war gefangen und balancierte unsicher auf jenem schmalen Grat, der diese beiden gegensätzlichen Pole voneinander trennte. Hoffentlich fand er einmal irgendwo dazwischen seinen Frieden.
»Sie ist ruhig«, sagte Balthazar jetzt und wies mit dem Kopf auf die einsame Frau auf ihrem Blätterlager.
Ein sehr schlechtes Zeichen, wollte Balthazar damit ausdrücken, und Marcus konnte nicht anders, als ihm zuzustimmen.
»Wir werden den nächsten Grenzstein morgen gegen Mittag erreichen.« Das kam von Hew, seinem Stellvertreter, der sich ihnen genähert hatte, um beiden Brot zu bringen. Alle drei drehten sich um, um wieder zu Avalon zu schauen.
»Hat sie gegessen?«, fragte Hew.
»Ja«,
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