Süße Rache: Roman (German Edition)
hügeligen grünen Rasen und hatte duftendes Gras unter ihren Füßen. In der Luft hing ein schwerer Frühlingsduft, die Temperatur war ideal, weder warm noch kalt, fast nicht zu spüren. Sie konnte Bienen summen hören und sah riesige Blumenbeete, ein ganzes Kaleidoskop von Blumen inmitten der Landschaft. Es gab Bäume, einen blauen Himmel mit weißen Wattewolken und eine Sonne. In unbestimmbarer Ferne standen weiß leuchtende Gebäude. Sie sah all das, und die Harmonie, die dieses Bild ausstrahlte, war so vollkommen, dass der
Anblick beinahe schmerzte. Was sie nicht sah, trotz der Stimme von vorhin, waren andere Menschen.
»Ich kann dich nicht sehen«, sagte sie.
»Einen Moment Geduld. Du bist sehr schnell gekommen. Gib der Zeit noch ein paar Sekunden, bis sie dich eingeholt hat.« Im selben Moment erschien eine Frau in ihrem Blickfeld. Sie war etwa so alt wie Drea, schlank und von strahlender Gesundheit, sie hatte die dunklen Haare mit einer nachlässigen Eleganz hochgesteckt, die absolut charmant wirkte. Verstörend wirkte hingegen die Art, wie sie in Dreas Blickfeld trat, denn sie erschien zwar nicht aus dem Nichts, aber doch so gut wie. Es war, als hätte sie einen Vorhang angehoben und wäre zu Drea auf eine Bühne getreten, wobei einige Körperteile eher sichtbar wurden als andere.
Jetzt erschienen noch mehr Menschen, sie tauchten genauso unvermittelt auf wie die erste Frau; mit jeder Sekunde entdeckte Drea mehr und mehr Menschen, die sich teils zu ihr gesellten und teils über die Wiese spazierten, ohne sich für sie zu interessieren. Schließlich stand sie in einem losen Kreis von insgesamt zehn Menschen. Waren sie real oder begann ihr sterbendes Gehirn zu halluzinieren? Sie wusste nicht einmal, ob sie selbst noch real war. Sie berührte sich, um festzustellen, ob sie noch Substanz hatte oder ob nur eine Art zelluläres Gedächtnis von ihr geblieben war. Zu ihrer Überraschung schien sie ihren Körper behalten zu haben, auch wenn ihr Tastsinn eigentümlich verschoben wirkte.
Genauso merkwürdig war das alles durchdringende Gefühl von … Frieden; das war das einzige Wort, das ihr dabei in den Sinn kam. Frieden. Sie begann sich ausgeglichen und getröstet zu fühlen, nein, geborgen.
Allmählich fiel ihr etwas an der kleinen Gruppe auf,
die sie umringte. Alle schienen in ihrem Alter zu sein, um die dreißig, fit und gesund, alle waren attraktiv, obwohl sie sah, dass mindestens die Hälfte davon Gesichtszüge hatte, die sie vor ihrem Tod bestimmt nicht als attraktiv beurteilt hätte. Jetzt waren sie es. So einfach war das. Ihr Auge konnte zwischen attraktiv und nicht attraktiv unterscheiden, doch ihr Geist konnte es nicht. Aber ihre Augen waren doch nicht von ihrem Gehirn losgelöst, oder? Also war ihr Hirn immer noch fähig, den Unterschied zwischen Schönheit und Hässlichkeit zu erfassen. War ihr Geist also irgendwie losgelöst von ihrem Gehirn? Sie hatte immer geglaubt, Geist und Gehirn seien ein und dasselbe, aber … das waren sie nicht.
Wenn sie diese Menschen betrachtete, konnte sie merkwürdigerweise erspüren, was sie früher gewesen waren, und das war höllisch verwirrend, weil einige von ihnen nicht einmal ihr jetziges Geschlecht gehabt hatten. Die Frau, die sie zuerst angesprochen hatte, machte ihr noch am wenigsten Schwierigkeiten, weil ihr Bild irgendwie fester wirkte, weil es weniger unter der Überlagerung einer frischen Reinkarnation verschwamm, so als wäre sie schon sehr lange nichts anderes gewesen als das, was sie jetzt war. Drea konzentrierte sich auf sie, weil es ihren Geist und ihre Augen beruhigte. Sie war müde, und die vielen Schichten der anderen waren ihr in ihrem augenblicklichen Zustand zu viel.
»Du siehst sie«, sagte die Frau leicht überrascht, und mit »sie« meinte sie nicht nur die anderen Menschen, sondern auch deren verschiedene Existenzschichten.
»Ja«, sagte Drea. Hier herrschte eine Art umfassender Kommunikation, die weit über das gesprochene Wort hinausging.
»So schnell. Du bist eine gute Beobachterin.«
Das musste sie sein, sonst hätte sie nicht überlebt. Ihr ganzes Leben hatte sie ihre Mitmenschen beobachtet, analysiert und nach dem Knackpunkt gesucht, um das zu bekommen, was sie zum Leben brauchte – Nahrung. Später, als sie älter war, hatte sie die Menschen genauer studiert, um festzustellen, wie sie ihre Umgebung am ehesten manipulieren konnte, um das zu bekommen, was sie wollte.
»Warum ist sie hier?«, fragte ein Mann, nicht abweisend,
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