Suesse Versuchung
fand er die Fensternische bereits von einer jungen Frau besetzt, die
mit gesenktem Kopf und mit dem Rücken zum Raum am Fensterbrett lehnte und
abwechselnd an ihrem Fächer und ihrem Ridikül herumzupfte. Edward wollte schon
kehrtmachen und sich ein anderes Versteck suchen, als sie den Kopf wandte, und er ihr
Profil sah.
Für einige Augenblicke stand er starr vor Verblüffung da, dann stieg eine
unerwartete, heftige Freude in ihm hoch, und er machte zwei schnelle Schritte auf das
Mädchen zu. Sie hörte ihn kommen, drehte sich hastig weg und gab vor, aus dem
Fenster zu sehen.
Er blieb dicht hinter ihr stehen. Einen wunderschönen Abend, Bengelchen.
Sie fuhr herum. Weitgeöffnete Augen, volle, zu einem Ohhh geformte Lippen. Sie
Ihre Stimme erstarb.
Ja, ich. Der dreckige Sassenach , fügte er hilfreich hinzu. Er war nicht dazu
gekommen, sich in den vergangenen Tagen nach seiner neuen Bekannten umzuhören
oder sich auf die Suche nach ihr zu begeben, da er sich um Familienangelegenheiten
hatte kümmern müssen. Und nun stand sie vor ihm, und er konnte kaum den Blick von
ihr lösen. Sie kämpfte sichtlich mit sich selbst, machte den Mund auf, klappte ihn
wieder zu, während ihre Augen funkelten, aber dann wandte sie sich zu seiner
Enttäuschung auf dem Absatz um, kroch unter den Pflanzenblättern durch und eilte
davon.
Oh nein, dieses Mal ließ er sie bestimmt nicht wieder verschwinden, ohne dass er
wusste, wo er sie finden konnte. Edward schlenderte ihr unauffällig nach, bis er sie in
der nächsten freien Fensternische gestellt hatte.
Sie wollte abermals entwischen. Er trat einen Schritt näher, streifte leicht mit der
Hand ihr Kleid und zwar genau dort, wo sich unter den Röcken diese hinreißende
Kehrseite befand und hatte das Vergnügen, sie herumwirbeln zu sehen. Dabei
verrutschte das Tuch über dem Dekolleté und gab ihm, bevor sie es hastig
zurechtzupfte, eine recht unverhüllte Einsicht preis. Edwards Blick ruhte zuerst auf
den vollen Hügeln, der tiefen Spalte und dann mit Bedauern wieder auf dem
züchtigen Tuch. Jedenfalls hatte er recht gehabt. Sie war keine Bauerntochter. Und
vermutlich hatte sie auch nichts mit den Leuten zu tun, die hauptsächlich des Nachts
Marian Manor frequentierten. Was sie dort zu suchen gehabt hatte, würde er schon
noch rausfinden.
Seltsam war allerdings, dass dieses Mädchen bei diesem Fest so alleine in der Ecke
stand. Als er in dem Alter dieser jungen Männer gewesen war, wäre sie genau
diejenige gewesen, die er unter all den weiblichen Gästen herausgesucht hätte. Sie war
zwar nicht gerade ein Ausbund an Eleganz, aber ihre Haltung, die Art, wie sie den
Kopf drehte, wie ihre Augen funkelten, diese schnellen, temperamentvollen
Bewegungen, die ihre Röcke zum Knistern und Rauschen brachten, waren wesentlich
anziehender als die gekünstelte Anmut der anderen. Sie war auch nicht so blass. Man
sah ihr an, dass sie sich viel in der frischen Luft aufhielt. Das war nun zwar auch nicht
gerade das Merkmal einer jungen Dame, aber Edward gefiel es. Zumindest an ihr.
Hören Sie auf, mich so anzustarren und mich zu belästigen, quetschte sie zwischen
den Zähnen hervor.
Oh, das ist keine Belästigung! Das sei mir fern! So viel Mut brächte ich kein zweites
Mal auf. Er rieb sich bedeutsam sein Kinn.
Sie richtete drohend den Fächer auf ihn. Bleiben Sie mir bloß vom Leib. Sonst
Sonst, was?, fragte Edward, dabei interessiert den Fächer betrachtend. Haben Sie
einen Degen darin versteckt?
Lassen Sie Ihre Hände dort, wo ich sie sehen kann, zischte sie ihm aufgebracht zu.
Edward hob beide Hände in Schulterhöhe. So?
Ja, und jetzt verschwinden Sie. Sie sah sich hektisch um, sich der Blicke mehrerer
anderer Gäste bewusst, die sie beide neugierig beobachteten. Lassen Sie mich in
Ruhe. Sie machen meinen Ruf kaputt.
Edward war verblüfft. Diese Ansicht hatten bisher nur wenige Frauen geteilt. Im
Gegenteil, die meisten Mütter und Töchter waren an diesem Abend sogar sehr
engagiert gewesen, wenn es darum ging, seine Aufmerksamkeit zu erregen.
Sie sind ein Wüstling, klärte seine kleine Schottin ihn auf. Und ich kann es mir
nicht leisten, mit einem solchen gesehen zu werden.
Vielleicht habe ich mich Ihnen gegenüber tatsächlich nicht im besten Licht gezeigt,
aber für einen Wüstling habe ich mich immer noch sehr moderat benommen, das kann
ich Ihnen versichern.
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