Sueße Versuchung
Anführer der Bande ist?«
Jonathan zuckte mit den Schultern. »Die einzelnen Banden sind hierarchisch aufgebaut, und ich kenne inzwischen schon etliche der Unteranführer. Aber das Problem dabei ist, dass keiner von ihnen eine vollständige Information hat. Sie arbeiten in kleinen Gruppen, von denen die eine kaum etwas über die andere weiß. Die eine ist hier, die andere in Seaford, eine in Hastings und so weiter, die ganze Küste entlang von Cornwall bis nach Dover und quer über den Kanal. Wenn wir einen oder zwei der Bandenführer schnappen, schalten wir zwar kleine Gruppen aus, aber nicht alle gemeinsam. Und der Kopf der Bande und die Piraten, die unmittelbar mit ihm zusammenarbeiten, entwischen uns wieder. Und um die Piraten geht es der Marine ja hauptsächlich. Die Schmuggler sind uns gleichgültig. Wir wollen die Leute, die ihr Einkommen mit Piraterie aufbessern wollen.«
»Und das Hauptproblem dabei ist, dass alles völlig geheim sein muss. Nicht einmal die Polizei weiß davon.« Edward wanderte im Zimmer umher.
»Die Admiralität kann sich den Skandal nicht leisten. Es sind einige unserer ehemaligen Kapitäne und Admiräle darin verwickelt.« Jonathan zuckte mit den Schultern. »Du weißt ja, der Ruf der Navy und so.«
Edward stieß einen unterdrückten Fluch aus, der sowohl der Navy als auch der Schmuggler- und Piratenbande galt und nicht zuletzt der Tatsache, dass er sich an seinem Hochzeitstag mit Verbrechern befassen musste, anstatt seine reizvolle junge Frau im Arm zu halten und endlich alle jene Fantasien wahr werden zu lassen, die ihn kaum noch zur Ruhe kommen ließen. Schließlich blieb er vor Jonathan stehen.
»Wir werden antworten, dass Melinda sich mit ihm treffen wird, um anzuhören, was er will. Am besten bei einer deiner Veranstaltungen. Das ist am unauffälligsten.«
»Das halte ich für keine gute Idee.«
»Deine guten Ideen haben dich bis jetzt nur dazu geführt, meine Schwester zu verführen und mich und Sophie in die Sache hineinzuziehen«, erwiderte Edward mit schneidender Kälte. »Ab jetzt macht ihr beide, was ich sage, verstanden?« Er griff nach den auf dem Tisch liegenden Schuldscheinen und schob sie in seine Jackentasche. »Ich werde sehen, was sich machen lässt. Wir sehen uns morgen. Und jetzt verschwinde von hier und komme nicht mehr her. Ich möchte nicht, …«
* * *
Sophie hatte die Tür lediglich hinter sich zugemacht, um sie zwei Minuten später wieder leise zu öffnen und hinauszulauschen. Nichts war zu hören, auch unten war es still. Sie huschte zur Treppe und sah hinunter. Edward war wohl schon in der Bibliothek bei Hendricks.
Ein Geräusch. Sie trat einen schnellen Schritt zurück, schmiegte sich ins Dunkel des Ganges, dorthin, wo der Kerzenschein sie nicht erreichte. Aber es war nur der Butler, der die kleine Halle vor der Bibliothek durchquerte. Er brauchte endlos lange, richtete noch einen Kerzenleuchter, hob etwas vom Boden auf, wischte über ein Tischchen.
Sophie stieg ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Wenn er sich nur nicht so Zeit lassen würde! Aber sie musste warten, bis er auch wirklich fort war, um nicht von ihm dabei ertappt zu werden, wie sie im Haus ihres Gatten herumschlich, um zu spionieren! Sie huschte weiter, tastete sich einige Treppenstufen hinunter, verhielt immer wieder, lauschte. Endlich war sie ungesehen am Ende der Treppe angelangt.
Nun war es ein Kinderspiel hinüberzulaufen – und schon war sie vor der Bibliothek.
Sie legte das Ohr an die Tür. Es drang kaum etwas heraus. Sie hörte zwar, dass die beiden Männer sich unterhielten, konnte Edwards Stimme unterscheiden, verstand aber kein Wort. Sophie presste ihr Ohr fester gegen das Holz. Noch immer konnte sie nichts verstehen, aber Edward war wütend. Was zum Kuckuck hatten die beiden zu bereden? Was wollte der Captain von ihrem Mann? Sie bückte sich, um durchs Schlüsselloch zu schauen. Sie hatte Glück. Die beiden standen in der Mitte des Raums.
Edward wirkte zornig, Captain Hendricks besorgt. Edward schob ein Bündel Papiere in seine Tasche. Henrys Schuldscheine!
Plötzlich wandte er sich um, kam auf die Tür zu. Sophie stob davon. Als sich die Tür öffnete, hörte sie noch, wie Edward sagte: »… wir sehen uns morgen. Und nun verschwinde und komme nicht mehr her. Ich möchte nicht, dass Sophie etwas davon erfährt.« Dann hatte sie sich auch schon in das neben der Bibliothek liegende Arbeitszimmer gerettet. Sie zog die Tür in dem Moment zu, als Jonathan
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