Süße Worte, heißes Flüstern
Halbtagsjob auf sie, bei dem sie Daten in Tom Wheelers Kundenkartei eingeben musste. Wenn sie wieder zu Hause war, erwarteten sie die Renovierungsarbeiten in den beiden oberen Zimmern. Und dann würde es auch schon wieder Zeit sein, Maddie und Missy von der Schule abzuholen, Zeit für deren Hausaufgaben, für das Abendessen; dafür, die Kinder zu baden und ins Bett zu bringen, und ihnen eine Gutenachtgeschichte zu erzählen. Und wenn die Mädchen schliefen, musste sie sich noch hinsetzen, um die Stickerei endlich fertigzubekommen, die Lyn Gross bei ihr für ihren neuen Handarbeitskatalog bestellt hatte.
Wie sollte sie bei so einem Programm noch dazu kommen, sich um Seth und seinen Sex-Appeal zu kümmern? Hannah schüttelte über sich selbst den Kopf, während sie eine Karaffe mit Wasser auffüllte. Das Haus war groß genug, dass sie sich nicht über den Weg zu laufen brauchten. Sie hatte oben zu tun, er war hier unten, und da würde er dank seines dicken Knöchels auch bleiben.
Bei all dem, was getan werden musste, hatte sie weder Zeit noch Lust auf Ablenkungen dieser Art. In ein paar Tagen würde Seth Granger verschwunden sein, und man konnte wieder zur Tagesordnung übergehen. Wenn ihre Frühstückspension erst richtig lief, hatte sie alles, was sie wollte: ihr eigenes Einkommen, das für sie und die Kinder ausreichte, und ihre Unabhängigkeit. Eines Tages würde sie imstande sein, Martha ihren Anteil am Haus auszuzahlen, und dann konnte sie ein neues Leben beginnen. Nichts wünschte Hannah sich sehnlicher.
Ein Duft von Zimt weckte Seth. Alles ringsum war dunkel, und er musste sich erst besinnen, wo er war. Er war es gewohnt, irgendwo und meistens im Finstern aufzuwachen. Sein Job brachte es mit sich, dass er seine Nächte an den unterschiedlichsten Orten verbrachte. Nicht nur in schäbigen Hotels, sondern auch im Auto, auf Parkbänken, selbst unter den Obdachlosen unter einem Dach aus Pappkarton und Plastikplanen. Man konnte fast sagen, dass ihm derartige Unterkünfte mit den Dienstjahren vertrauter geworden waren als sein Apartment.
Dass er aber von einem Duft nach Zimt und Äpfeln geweckt wurde, war ihm seit seiner Kindheit nicht mehr passiert. Einen Augenblick lang dachte er, es sei nur ein Traum, der ihn in die ersten Jahre seines Lebens entführt hatte. Aber der Duft war echt. Das frisch bezogene Bett mit dem Federkissen, in dem er lag, war Wirklichkeit. Seth blickte neben sich. Der Wecker auf dem Nachttisch zeigte fünf Uhr, für seine Begriffe noch mitten in der Nacht.
Er drehte sich wieder auf den Rücken. Dabei erinnerte ein stechender Schmerz ihn an seinen geschwollenen Fuß und daran, wo er sich befand. Ridgewater, Stadt des größten Obstkuchens der Welt. Seth fluchte. Mühsam und unter Schmerzen richtete er sich auf und setzte sich auf die Bettkante. Er knipste die Nachttischlampe an und sah sich um. Es war ein angenehmes Zimmer, in dem er lag. Es hatte einen blank gebohnerten Dielenboden, auf dem ein paar Läufer lagen. Die Tapete hatte blau-weiße Streifen. An den hohen Fenstern hingen lange weiße Vorhänge. Durch eine halb offene Tür konnte man in das angrenzende, weiß gekachelte kleine Badezimmer sehen, dessen Badewanne altmodische Klauenfüße hatte.
Seth streckte sich. Sein Nacken fühlte sich etwas steif an. Über seinem linken Auge pochte es dumpf. Aber abgesehen davon und von seinem Fuß, der doppelt so dick war wie normal und sich um den Knöchel herum tiefblau verfärbt hatte, ging es ihm hervorragend. Und abgesehen davon, dass er für wer weiß, wie lange hier festsaß.
Die Versammlung vom gestrigen Abend kam ihm wieder in den Sinn. Die Anteilnahme all dieser Leute war sicherlich gut gemeint. Aber die ganze Aufmerksamkeit, die man ihm geschenkt hatte, war weder nach seinem Geschmack, noch fand er sie angemessen. Jeder andere hätte in seiner Situation genauso gehandelt.
Am meisten waren ihm die unzähligen Fragen auf die Nerven gegangen, mit denen Billy Bishop von der
Ridgewater Gazette
ihn bombardiert hatte. Alles hatte der Kerl von ihm wissen wollen, angefangen von seiner Kindheit bis zu seinem Job, bis zum Baujahr seines Motorrads. Er hatte sich bemüht, seine Antworten so kurz und allgemein wie möglich zu halten. Je weniger über ihn in der Zeitung stand, desto besser.
Vorsichtig hievte Seth sich hoch, bemüht, das schmerzende Fußgelenk zu schonen. Er zog das schwarze T-Shirt über, das er erst am Abend zuvor sauber angezogen hatte, und eine graue Jogginghose. Auf einem
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