Süße Worte, heißes Flüstern
und hinten nicht, um die Außenstände bei ihrer Tante zu begleichen und obendrein die noch offenen Rechnungen zu bezahlen.
Sie stützte die Ellbogen auf die Tischplatte und barg das Gesicht in den Händen. Sie hatte Kopfschmerzen, und die Zahlen verschwammen ihr vor den Augen. Eine ungeheure Müdigkeit und Erschöpfung bemächtigte sich ihrer, keine körperliche Erschöpfung, obwohl sie die Nacht zuvor nur wenig Schlaf bekommen hatte. Es war eine Art geistige, gefühlsmäßige Erschöpfung.
Die ersten beiden Stunden, nachdem Seth aus dem Haus gegangen war, hatte sie sich in die Arbeit gestürzt und in dem zweiten Zimmer im Obergeschoss mit der Renovierung weitergemacht. Danach war sie unter die Dusche gegangen. Während das Wasser auf ihren verspannten Nacken niederprasselte, hatte sie über die Geschehnisse des Vormittags nachgedacht.
Nun saß sie am Küchentisch und rechnete. Sie war sich darüber im Klaren, dass ihre Tante ihr diesen Auftritt nie verzeihen würde. Niemand sprach in dieser Art mit der einflussreichen Martha Richman. Wenigstens hatte Hannah noch nie jemanden so mit ihr sprechen hören, wie Seth es heute getan hatte. Das gute Tantchen war sichtlich geschockt, dachte sie und lächelte unwillkürlich.
Dann seufzte sie tief und ließ den Kopf auf die Arme sinken. Sie lauschte auf die Geräusche der Nachbarschaft, die durch das geöffnete Fenster zu ihr hereindrangen – das Kreischen der Clark-Kinder, die zwei Häuser weiter im Swimmingpool planschten, Charlie Hansons elektrische Heckenschere, das Summen der Klimaanlage bei Mrs Peterson. Alles vertraute Geräusche, die ihr das Gefühl gaben, hierher zu gehören. Nirgendwo anders wollte sie zu Hause sein. Hier hatten ihre Großeltern und Eltern schon gelebt, und hier sollten auch Maddie und Missy aufwachsen.
Was hatte sie in Boston zu suchen? Was sollte sie dort mit einem großen Haus mit Marmorsäulen neben dem Eingang? Ihr Zuhause war hier, ihr Wohnort war hier, hier war der Platz, an den sie gehörte, an den sie schon als Kind gehört hatte. Das würde sie sich nicht nehmen lassen. Und wenn sie daran zugrunde ginge, fünf oder zehn Jobs machen zu müssen, freiwillig, ohne darum zu kämpfen, würde sie das nicht aufgeben.
Was sie jetzt brauchte, war nur ein Augenblick Ruhe, bevor es weiterging. Ein kleiner Augenblick Entspannung, eine Minute, vielleicht zwei …
In genau dieser Stellung, den Kopf auf dem Küchentisch, fand Seth sie eine halbe Stunde später vor. Hannah so friedlich schlafen zu sehen rührte ihn – er wusste auch nicht recht, warum. In der Hand, hinter dem Rücken versteckt, hielt er einen Strauß rosa Nelken, die er als Friedensangebot vom Markt mitgebracht hatte.
Er hatte sich gerade entschlossen, sie schlafen zu lassen, und wollte sich umdrehen, als Hannah die Augen aufschlug.
Ohne den Kopf zu heben, murmelte sie schläfrig: “Was ist das für ein himmlischer Duft?”
“Pizza.” Seth trat heran und stellt die Kartons auf den Tisch, sein zweites Friedensangebot. Dann nahm er Hannah gegenüber Platz. “Ich hoffe, Peperoni ist richtig?”
“Ja, aber das wär doch nicht nötig gewesen”, sagte sie und gähnte, während sie sich aufrichtete und die Arme streckte. “Ich wollte gerade Essen machen.”
“Na ja, wenn wir sie nicht brauchen, schmeiß ich sie eben weg”, meinte Seth und tat, als wolle er aufstehen.
Hannah packte ihn am Handgelenk. “Untersteh dich. Keine Bewegung, oder ich schieße!”
Grinsend lehnte Seth sich wieder zurück und beobachtete zufrieden, wie Hannah den Deckel des oberen Kartons hochhob und mit leuchtenden Augen den Inhalt betrachtete. Sie schloss die Augen und sog begierig den würzigen Duft ein, der ihr entgegenstieg. Genau in dem Moment, in dem sie ihre Hand ausstreckte, um sich das erste Stück zu nehmen, holte er schnell die Blumen hinter seinem Rücken hervor und hielt sie ihr hin.
Hannah hielt in ihrer Bewegung inne und sah überrascht auf den Strauß. “Das wär doch nicht …”
“… nötig gewesen – ich weiß. Kannst du auch noch etwas anderes sagen?” Das klang ja nicht gerade zuvorkommend. Aber Abbitte zu leisten war nun mal nicht seine Stärke. “Ich wollte sagen, es tut mir leid, dass ich meine Nase in deine Angelegenheiten gesteckt habe. Du hattest recht. Ich hätte mich nicht einmischen sollen.”
“Danke, Seth.” Hannah nahm die Blumen und roch an den Blüten. “Sie sind sehr schön.”
“Kann ich nicht irgendetwas tun, um deine Tante wieder zu
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