Suesser Als Blut
mir doch die gute alte Zeit. Hab diese Gegend hier in den Achtzehnachtzigern abgegrast. Da wimmelte es noch von Hafenarbeitern. Da hatte man noch die Qual der Wahl, überall Besoffene, so weit das Auge reichte. Die musste man nicht mal hypnotisieren, so voll waren die. Hackedicht, Mann! Mariniert! Bis obenhin voll mit Gin. Hach, das waren noch Zeiten.«
»Und dieses Kohlensäurezeug, das sie heutzutage trinken«, warf Shaka empört ein, »davon krieg ich Blähungen und Schluckauf!«
»Wisst ihr, was mich noch am Blue Heart stört?« Mister Juni strich über sein schwarzes Seidenhemd. »Diese grässliche Uniform, die ich da anziehen muss. Original Zweiter Weltkrieg, aber das Zeug kratzt. Man sollte glauben, dass Rio die Güte besitzt, mir zu erlauben, ein Seidenfutter einnähen zu lassen, aber nein! ›Die Leute würden sich beschweren‹«, piepste er mit gekünstelt hoher Stimme. »Blöde Ziege! Als ob die Leute einen Dreck merken würden!«
»Mensch, hör auf zu maulen.« Shaka schnupperte an seinem Brandy. »Du bist’n Star, du wirst gut dafür bezahlt, dass du’ne kratzige Soldatenuniform trägst, und deine hässliche Fresse hängt überall in dem Club.«
Ich nippte an meinem Stoli und wurde durch eine Bewegung im Spiegel abgelenkt. Die Frau im schwarzen Lederkorsett erhob sich und bauschte ihren schwarzen, mit Seide gefütterten Netzrock. Dann streckte sie ein schlankes Bein vor und strich ihre Netzstrümpfe glatt, von den Fußgelenken bis zum Oberschenkel. Sie warf mir unter gesenkten Wimpern einen koketten Blick zu und lächelte verführerisch.
»Na ja, zugegeben, es hat seine Vorteile«, hörte ich Mister Juni wie aus weiter Ferne sagen. »Ich wünschte nur, Rio würde erlauben, dass Alkohol ausgeschenkt wird. Würde das Blutangebot bedeutend verbessern.«
Korsett-Girl richtete sich auf, fasste ihre lange schwarze Mähne zusammen und steckte sie lose auf ihrem Oberkopf fest.
»Hey – und dieser dämliche Mister Oktober, was haltet ihr davon, Jungs?«, warf Pausbacke ein. »War er’s, oder war er’s nicht?«
Ich spitzte die Ohren und konzentrierte mich wieder auf die drei Burschen.
»Die Sache hat ganz schön Staub aufgewirbelt.« Mister Juni
senkte verschwörerisch die Stimme. »Hab gehört, er hatte Stunk mit seiner Flamme. Hat sich von dem Franzmann anmachen lassen. Ach ja, die ewige Dreiecksgeschichte. Und wieder hat die Liebe ein blutiges Opfer gefordert.« Er versetzte Shaka einen spielerischen Kinnhaken. »Die hätte dir gefallen, Häuptling, eine Schönheit – und hat nicht mit ihren Reizen gegeizt.«
»Hab sie gesehen.« Shaka bleckte grinsend seine schneeweißen Zähne. »In Rios Privatbar. Süß, Männer, sehr, sehr süß.«
In diesem Moment ging die Eingangstür auf, und ich erblickte ein weiteres bekanntes Gesicht im Barspiegel: Gazza, das billige Goth-Imitat. Aber er war nicht allein. Als er auf die Sitznischen zusteuerte, versuchte ich mir den Vampir, den er bei sich hatte, anzuschauen, aber mein Blick glitt an ihm ab, als ob er eingeölt wäre. Ich runzelte die Stirn, versuchte es erneut. Doch da tauchte Korsett-Girl wieder in meinem Blickfeld auf, und ich vergaß Gazza.
Sie lächelte mir zu und nestelte mit schlanken Fingern an dem blauen Seidenband, mit dem ihr Korsett verschnürt war. Dann warf sie den Kopf in den Nacken und kam mit anmutigen Schritten auf mich zu.
»Hat seine Flamme nicht im Bloody Shamrock gearbeitet? Declan hatte schon immer ein gutes Auge für Frischfleisch. Diese verrückte Tussi, die Declan hörig ist, hatte er deswegen nicht Zoff mit ihr? Vielleicht hat sie das arme Mädchen aus Eifersucht kaltgemacht.«
Die Stimmen wurden schwächer, je mehr mich die Frau ablenkte. Sie zwängte sich neben mich an die Bar. »Hab gesehen, wie du zu mir hingeschaut hast«, schnurrte sie. Ihr kastanienbraunes Haar war von blauen Strähnen durchzogen. »Dachte, ich komm mal rüber.«
»Shit, Mann, das ist doch alles alter Käse«, sagte Shaka verächtlich. »Weißt du, wer sonst noch um das Mädchen rumgeschnüffelt hat? Das alte Rotauge persönlich, Malik al-Khan. Vielleicht hat er sie erledigt.«
Ich kippte den Wodka hinunter und ließ mich von der wohligen Kälte durchrieseln.
Korsett-Girl zog eine dicke Strähne aus dem Mopp auf ihrem Kopf und drapierte sie in ihrem Ausschnitt. »Du bist keine von den Blue-Heart-Vamps, oder?«
»Nein.« Ich schaute sie an. Sie glühte rosig, und ich konnte förmlich spüren, wie ihr das Blut durch die Adern rauschte.
» …
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