Süßer die Glocken (German Edition)
zweiten Aspekt … die Tatsache, dass die Menschen zum Fest der Liebe hin noch leichtsinniger wurden als zur Urlaubszeit.
Mit geübten Griff streifte er sich eine dunkle, lange Perücke über den Kopf und stieg aus. Die Kälte war ein willkommener Genuss zu der Luft im Wagen und der Hitze in den Wohnungen. Mit zwei fließenden Schritten tauchte Erik in den Schatten und verharrte. Ein zufällig aus dem Fenster blickender Anwohner würde ihn dank seiner dunklen Anziehsachen nicht bemerken.
Aber es war kein zufälliger Beobachter vorhanden. Die Fenster der langen Alleestraße waren dunkel, die wenigen anwesenden Bewohner längst schlafen gegangen. Ein Lächeln schlich sich auf Eriks Gesicht. Wie selbstgefällig und zufrieden die meisten von ihnen wahrscheinlich gerade schliefen in ihrem Reichtum und Luxus. Sie verschenkten goldene Uhren, unbezahlbare Ketten, Juwelen und Geld, lieblose aber wertvolle Produkte. Herzlos. Seine letzte Beute hatte vermutlich den Wert des Bruttoinlandsproduktes eines kleinen, afrikanischen Landes. Sein Lächeln veränderte sich, wurde bitter, und falls es doch einen zufälligen Beobachter gegeben hätte, hätte er allein aufgrund dieser Beobachtung die Polizei gerufen.
Erik schüttelte die unwillkommenen Gedanken ab, gab sich einen Ruck und erinnerte sich an die Aufzeichnungen, die er sich in langen Übungen eingeprägt hatte. Familie Schmitz würde erst morgen früh von ihrem Weihnachtsball kommen, Familie Spitzer war bei Freunden, Ludwigs waren in einem Swingerclub unterwegs und hatten die Kinder einer Babysitterin anvertraut, die gemeinsam mit den zwei Jungs im Kinderzimmer schlief. Heinleinsnahmen Schlaftabletten, weil sie wegen gegenseitigem Schnarchen sonst nicht schlafen konnten – vielleicht auch, damit sie nicht in die Verlegenheit kamen, miteinander irgendetwas anfangen zu müssen. Bonzen-Peter und seine hübsche Verlobte würden auf der Firmenfeier sein. Ideal und alle Termine und Abfahrten waren von seiner Schwester bestätigt worden.
Als erstes wandte sich Erik der großen Villa von Schmitz zu. Unsympathische, feiste Herrschaften, die aus irgendeinem reichen Adelshaus stammten, den Titel aber nicht mehr führen durften. Danach kamen Spitzers dran. Sie hatten im Lotto gewonnen, alle Brücken hinter sich abgebrochen und machten nun einen auf Snob. Ludwigs … naja, das mit den Kindern und dem Weggehen vor Weihnachten sagte ja alles. Die Heinleins waren eine Klasse für sich. Beide hatten zahlreiche Affären, blieben aber zusammen, um den Schein zu wahren. Gerade an Weihnachten überboten sie sich deswegen mit exklusiven Geschenken.
Mit einem Blick auf die Uhr versicherte sich Erik, dass er noch zwei Stunden Zeit hatte, bevor der erste Villenbesitzer zurückkehren würde. Nach einem kleinen Abstecher zum Auto, bei dem er die neue Beute in den Kofferraum packte, schlich er um das letzte Haus. Immer noch mit dem Gedanken bei »Lasst uns froh und munter sein«, wechselte er die Kostümierung und drehte seinen Wendemantel um. Niemand würde den Weihnachtsmann eines Verbrechens verdächtigen, oder?
Mit weißem Rauschebart und -haaren, rotem Mantel und roter Mütze verkleidet, benötigte er zwei Minuten, um die veraltete Alarmanlage auszustellen und das rostige Schloss der Hintertür aufzubrechen. Wie ekelhaft sicher sich diese Leute fühlen mussten!
Leise und ohne mit einer verräterischen Taschenlampe herumzuwedeln, schlich er durch das Haus. Es war nicht schwer, zu finden, wonach er suchte. Im Wohnzimmer stand ein Tannenbaum, darunter die Geschenke. Viele Geschenke. Alle toll und stilvoll verpackt.
»Spiel, Spaß und Spannung«, flüsterte Erik leise, als er das Erste nahm und vorsichtig schüttelte. Es war groß und einigermaßen schwer. Vermutlich keine Juwelen. Vielleicht ein Goldbarren? Und in dem dünnen Briefchen war sicherlich ein Wertgutschein. Genau wie in dem nur wenig schwereren Umschlag, der in unmittelbarer Nachbarschaft lag.
Mit einem Hochgefühl, das ihn jedes Jahr aufs Neue – stadtunabhängig – überfiel, stopfte er Geschenk um Geschenk in den Jutesack. Die ganz kleine Box, die nahe am Stamm der überdimensionalen Tanne lag, hätte er beinahe übersehen. Sie hatte genau die richtige Größe für einen kostbaren Ring oder schicke und vor allem echte Diamanten. Vorsichtig nahm er die kleine, rote Box in die behandschuhte Hand und schüttelte sie leicht. Dabei lauschte er auf ein Rappeln, als habe er ein Ü-Ei in der Hand und kein teures Luxusprodukt.
»Ich
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