Süßer König Jesus (German Edition)
mit ihr an einen so weit entfernten und exotischen Ort zu reisen. Ich konnte mir die beiden nicht beim Schnorcheln vorstellen, oder wie sie die Strände auskundschafteten, oder wie sie in einem oben offenen, gemieteten Jeep herumfuhren. Deswegen liebte ich sie noch mehr: ich wusste, es würde der Tag kommen, an dem ich mich selbst nicht wiedererkennen würde.
***
New Mexico zog schnell vorüber, flach und öde, und doch wie nicht von dieser Welt. Merkwürdig karge Büsche und Gruppen kleiner Bäume, wie ich sie nie zuvor gesehen hatte. In der Ferne zeichneten sich niedrige, zerklüftete Berge ab. Die Jesus-Reklame wurde durch Werbung ersetzt, die uns nahelegte, am Steuer nicht zu trinken, mein Vater meinte, der Grund dafür seien die vielen Indianer. Ihre Körper verdauten Zucker nicht wie unsere, deshalb seien sie anfälliger für Diabetes und Alkoholismus.
»Du hast Diabetes«, sagte Elise. »Und man nennt sie Native Americans, nicht Indianer. Indianer kommen aus Indien.«
Unser Vater sagte, er habe bisher weder einen Indianer noch einen Native American getroffen, den er gemocht hätte.
»Hey«, sagte Elise, und wir schauten auf ihrer Seite durch die Scheibe, wo einiger Staub aufgewirbelt wurde.
»Spannend«, sagte ich und schaute weiter auf das faszinierende Geschehen, die Straße war in Bewegung. Ich hatte noch nie Staub gesehen, der sich so absichtsvoll benahm. Ich befummelte die winzige Schramme, die sich mein Knie am Grund des Pools geholt hatte – Gabe war kein Traum gewesen, das war der Beweis. Ich dachte daran, wie er mich angesehen, was er gesagt hatte. Ich dachte an seinen Körper und sein Gesicht und an den Benzingeruch im Lieferwagen. Ich würde unser Zusammensein so oft abspielen, dass es sich für immer in mein Gedächtnis einprägte. Ich würde es so oft wiederholen, dass mir nie wieder neue Details einfallen würden.
Später sahen wir uns auf YouTube Videos von Leuten an, die genau wie wir auf der I-10 durch New Mexico fuhren; die meisten der Videos stammten von einem Typ, der über Land zog und Abschnitte der Interstate filmte. Am unteren Rand hatte er verschiedene Fakten und Notizen hingeschrieben, wann bestimmte Bauvorhaben fertig sein würden, die Kriminalitätsrate – Superlative: Längstes, Höchstes, Größtes. Die Videos waren ziemlich beeindruckend. Sie liefen in doppelt- und dreifacher Geschwindigkeit und waren mit sehr schneller Musik unterlegt. Als wir alle Interstate-Videos gesehen hatten, schauten wir andere: Kinder, die einen Staubsturm aufzeichneten und ihn weißen Teufel nannten, ein Paar, das in einem Wohnmobil durchs Land fuhr. Der Mann sagte dauernd Dinge wie: »Das Konfidenzniveau ist hoch«, und er klang total fröhlich, während die Frau mit dem Hund auf ihrem Schoß sprach. Elise und ich spekulierten über das Wesen ihrer Probleme, doch Elises Handy gab den Geist auf, und sie musste es nach vorn reichen, um es aufzuladen.
In Arizona sah wieder alles anders aus. Ich hatte das Gefühl, dass all die Leute, die ständig von der Homogenisierung Amerikas redeten, falsch lagen – kein Ort war wie der andere. Es gab McDonald’s und es gab Targets und Taco Bells, aber in jeder Stadt sahen die Leute anders aus, hatten einen anderen Akzent und andere Gewohnheiten. An manchen Orten sagten die Leute Guten Morgen und Schön, Sie zu sehen , als sähen sie einen nicht zum ersten und letzten Mal, und dann, zwanzig Minuten die Straße runter, traf man nur noch unfreundliche Dumpfbacken.
Wir waren hin und weg von den Kakteen, die wie riesige Hände nach dem Himmel griffen, und von dem Kamel neben dem Ein-Dollar-Laden, an dem wir anhielten, um Pepto-Bismol zu kaufen und Zahnpasta. Während unsere Eltern hineingingen, warteten Elise und ich und beobachteten den Mann, der auf einem kleinen ungeteerten Stück des Parkplatzes Kamelreiten anbot. Ich hatte in meinem Leben noch kein Kamel gesehen. Wie hässlich es war, die Höcker enger beieinander, als ich gedacht hatte. Dazwischen klemmte ein junges Mädchen, es hielt die Hand hoch, und seine Mutter fotografierte es. Elise fotografierte ihre Mutter beim Fotografieren. Und dann fotografierte Elise mich, die blinzelnd vor dem Kamel stand, ebenfalls die Hand erhoben, unter einem enorm blauen, wolkenlosen Himmel.
***
Wir schafften es nicht bis Kalifornien. Um zwei Uhr hielt unser Vater in einem Kasino-Resort irgendwo in der Nähe von Phoenix. Er lenkte den Wagen in die kreisförmige Zufahrt und winkte dem Park-Service ab.
»Warum halten
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