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Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman

Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman

Titel: Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eve Rudschies
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Die Sonne, in diesen ersten Januartagen schon ein wenig höher am Horizont, wie ihr schien, verlieh den Dächern und Ziegelsteinen einen goldenen Schimmer, ließ Schneekristalle und Eiszapfen wie Edelsteine funkeln – eine überwältigende Pracht. Die prunkvollen, blank polierten Schlitten der reichen Bürger standen vor den Häusern bereit für die fröhlichen Umzüge am Dreikönigstag. Überall wurde fleißig Dreikönigswasser versprengt und auch erneut ausgeräuchert. Dienstboten liefen mit heißen Kohlenschaufeln herum, in die man kostbare Weihrauchkörner gelegt hatte. Haus- und Stalltüren, Balken, Stuben, Truhen, Brunnen, Bettstätten, Keller, Speicher und sogar die Dachrinnen – alles musste den Weihrauchsegen bekommen, bevor die Zeit zwischen den Zeiten zu Ende ging. Anna Lucretia hatte vergessen, wie einzigartig und wie vertraut ihr dieser Geruch aus verbranntem Holz, schneidend kalter Luft und süßlichem Weihrauch war. Es war der Duft der glücklichen, unbeschwerten Feiertage ihrer Kindheit, der Freude über das junge, neue Jahr – so schön, so wohltuend, dass sie beinahe anfing, mitten auf der Straße zu weinen. Angst, aber auch Hoffnung zerrissen sie. Über der fröhlichen Stadt thronte die Trausnitz, teils von Rauchwolken verhüllt, teils in goldenem Licht gebadet. Was wollte sie dort ausrichten? Wie sollte es gelingen? Sie hatte keine Idee, geschweige denn einen Plan. Doch sie musste dort hin in der Hoffnung, das Ungeheuer würde sich endlich zeigen. »Und dann?«, überlegte sie völlig entmutigt. »Was geschieht, wenn ich ihm ins offene Maul laufe und es mich verschluckt?« Sie gab sich einen Ruck. Es half nichts, sie hatte keine Wahl. Sie würde es schon sehen, wenn sie sich zu weit vorwagte.
    In der Burgküche arbeiteten die Bediensteten noch emsiger als vor Weihnachten. Der Herzog stiftete dem ganzen Stadtvolk am Dreikönigstag vor den Schlittenfahrten ein großes Wildschweinmahl, in der Hofküche vollständig vorbereitet und gekocht. Im Zerwirkgewölbe wurde ein Wildschwein nach dem anderen zerlegt, mit reichlich Speck gespickt und in riesigen Kesseln mit herbem Rotwein eingelegt. Das Blut der Tiere, das später in den Wildpfeffer kam, mischte man sofort mit Würzessig, damit es nicht gerann. Obwohl diese Verrichtungen nicht in der Mundküche stattfanden, schlichen sich die Ausdünstungen von Blut, Innereien, dunklem Fleisch, saurem Wein und starkem Essig überall hin.
    Anna Lucretia wurde binnen Minuten davon so übel, dass sie hinausrannte und sich im inneren Burghof übergab. Niklas Überreiter war ihr unbemerkt vom Torwarthaus aus gefolgt und packte sie gerade noch rechtzeitig, bevor sie bewusstlos zu Boden sank. Doch schon einige Augenblicke später öffnete sie ihre Augen im Brunnenhaus wieder. Sie saß am Rand des Tiefbrunnens. Der Baumeister befeuchtete ihre Stirn und Schläfen mit eiskaltem Wasser. Sie murmelte ein Wort des Dankes und wollte flüchten. Doch der riesige Mann hielt sie fest. Er war blass unter dem gepflegten Bart, seine Augen gerötet, als ob er viel geweint und kaum geschlafen hätte.
    »Fräulein von Leonsperg, gewährt mir nur einen Augenblick! Ich warte schon so lang, dass Ihr auf die Trausnitz kommt. In der Stadt bleibt Ihr völlig unsichtbar. Wollt Ihr mich nicht mehr sehen?«
    Der eisige Atem des fernen Flusses belebte Anna Lucretia. Doch die Nähe dieses Mannes ertrug sie hier im Brunnenhaus, am Fuß des Wittelsbacherturms, nicht. Die Empörung verlieh ihr Kraft.
    »Als ob es nur darum ginge, Baumeister! Mein Vater ist weiterhin in tödlicher Gefahr, meine Tante schwer erkrankt, Fräulein von Weichs ist unpässlich und ich selber fühle mich bedroht. Woran soll ich noch denken? Ich bitte Euch.«
    »Dass ich Euch so gern helfen und beistehen möchte, liebstes Fräulein, das wisst Ihr doch.«
    Solange du nicht zu sehr um die eigene Haut zittern musst, du Feigling, schoss es ihr durch den Kopf. Doch das sagte sie nicht laut.
    »Ja, Meister Niklas, das weiß ich. Ist Euch etwas aufgefallen in der Zeit, in der ich nicht hier sein konnte?«
    Er senkte den Kopf wie ein reuiges Kind.
    »Nein, liebstes Fräulein, leider gar nichts. Der Hofrat von Eck weilt auf der Trausnitz … «
    »Ja, das ist mir bekannt. Benimmt er sich auffällig?«
    »Nein, ganz und gar nicht. Warum auch?« Er räusperte sich. »Fräulein … Anna, habt Ihr dem Herzog von mir, ich meine, von uns, von uns beiden berichtet? Dass eine Verlobung infrage kommt?«
    »Nein, Baumeister, denn das ist

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