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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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sie wütend mit den Ellenbogen auseinander, trat auf fremde Füße, ignorierte Protestrufe und Drohungen, um meinem Ziel näher zu kommen. Die Mütze trieb einfach im Strom der Menge dahin, schwankend, immer wieder kurz abtauchend. Ich dagegen hatte gut sechs, sieben Knoten drauf, was selbst einem Hai alle Ehre gemacht hätte. Doch seltsamerweise verkürzte sich die Entfernung zwischen mir und dem Alten nicht um einen Meter! Ein unangenehmes Gefühl bemächtigte sich meiner, wie in einem Alptraum, wenn etwas dir alle Kraft aus den Muskeln saugt: Du versuchst zu laufen, doch setzt du völlig vergeblich ein gummiweiches Bein vor das andere, ohne von der Stelle zu kommen.
    Plötzlich machte der Mützenschwimmer eine heftige Bewegung, als hätte ein riesiger Fisch angebissen, driftete nach rechts und verschwand mit einem Schlag von der Bildfläche. Ich versuchte mir die Stelle zu merken, wo ich ihn aus
den Augen verloren hatte, sprang auf die Fahrbahn, so dass mich um ein Haar ein laut trötender Laster erwischt hätte, und lief dann neben dem Bürgersteig weiter wie ein fliegender Fisch, der über die Wasseroberfläche hinaushüpft, um sich umzusehen. Dort, bei der Reklametafel war er verschwunden. Das breite, mit Menschen überflutete Trottoir wurde hier von einer schmalen Abzweigung durchschnitten. Ob der Alte in die Gasse abgebogen war?
     
    Zur Sicherheit zog ich mich wieder auf den Bürgersteig zurück, stürzte mich erneut in die Menge, zerteilte sie mit den Schultern, bis ich schließlich zerfleddert und schwitzend in das ärmliche, menschenleere Gässchen hineinstolperte, das im Wesentlichen aus heruntergekommenen dreigeschossigen Häusern bestand. Ich hatte wirklich erstaunliches Glück: Nur gut dreihundert Meter vor mir erblickte ich die hinkende Gestalt. Wäre ich nur ein paar Sekunden später gekommen, ich hätte den Alten wahrscheinlich verloren: Gerade hatte er die nächste Kreuzung erreicht und bog vor meinen Augen nach links ab.
    »Warten Sie! Halt!«, schrie ich aus Leibeskräften, doch er reagierte nicht.
    Die Gasse, in die er nun eingetaucht war, machte einen höchst verdächtigen Eindruck: altes Kopfsteinpflaster, schmutzige Häuser mit vernagelten Fensterläden, kein einziges geparktes Auto, nicht eine Menschenseele.
    Trotzdem dachte ich nicht einmal daran, die Verfolgung aufzugeben. Wenn der Alte tatsächlich derjenige war, für den ich ihn hielt, würde er mir alle Fragen beantworten können. Alle! Wer, wenn nicht er, wusste, wie die Expedition
in der Selva für den Konquistadoren geendet hatte, der für seinen Glauben an die Prophezeiungen der Maya in einem ihrer Opferbrunnen gelandet war? Sofern noch weitere Kapitel des Tagebuchs existierten, besaß sie mit größter Wahrscheinlichkeit dieser Mann. Hatte er bei dem Büro vorbeischauen wollen, um sich nach der Übersetzung des letzten Teils zu erkundigen oder um ein neues Kapitel abzugeben? Vielleicht trug er es ja sogar jetzt bei sich, und wenn ich ihn einholte, brauchte ich mich nur vorzustellen, alles zu erklären und …
    Einholen? Trotz seiner offensichtlich rheumatischen Gelenke bewegte sich der alte Mann erstaunlich zielstrebig vorwärts. Ich spürte bereits ein Stechen in den Lungen, mein Brustkorb kam mir zu eng vor für mein pumpendes Herz, und meine Muskeln waren steif. Immer wieder versuchte ich dem forschen Greis zuzurufen, was mich aber nur noch mehr außer Atem brachte. Entweder war die Entfernung zu groß oder er war schwerhörig oder aber er hatte meine Verfolgung bemerkt und fürchtete sich nun, stehen zu bleiben.
    Als er endlich seinen Schritt verlangsamte, dachte ich, mein wildes Rufen hätte sein Ohr erreicht. Doch der Alte schien sich nur orientieren zu wollen. Einen Augenblick später tauchte er in einen dunklen Torbogen ein. Als ich an der Stelle eintraf, hatte er bereits seinen Vorsprung genutzt und war in den Innenhöfen verschwunden. Nur seine Schritte konnte ich noch hören. Ich zögerte kurz, dann folgte ich ihm.
    Noch nie hatte ich in dieser Stadt so seltsame Höfe gesehen. Sie schienen aus einer anderen Zeit und einer anderen
Welt zu stammen. Ich fühlte mich in die mittelalterlich europäische Kulisse eines historischen Films versetzt, die unter dem starken Einfluss von M. C. Eschers leblosen, grafischen Fantasien entstanden war. Enge, sich windende Gänge, vollgestopft mit unvorstellbarem Gerümpel: löchrigen Kinderwägen, beschädigten Möbelstücken, verrosteten Fahrrädern und halb zerbrochenen Gipsstatuen,

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