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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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Büros noch nicht wieder in die Räume gelassen.
    Schnell wandte ich den Blick ab und näherte mich der Theke, hinter der mich seinerzeit immer der gallige Semjonow empfangen hatte. Aufgrund des schwachen Lichts war sein Arbeitsplatz kaum zu sehen, doch ich ahnte bereits, was ich dort finden würde.
    Oben auf der Theke lag sie - inmitten von herabgerieseltem Deckenputz und Bücherstaub. Ich musste nur einmal mit den Fingern über das sorgfältig gearbeitete Leder fahren, um sie wiederzuerkennen - die Mappe mit dem goldenen Monogramm, in welchem mir das erste, nein, eigentlich das zweite Kapitel des alten Buches übergeben worden war.
    Ich suchte nicht lang nach Erklärungen, sondern packte die Mappe, floh Hals über Kopf aus der Bibliothek und hastete nach Hause, in meine Höhle. Weder Erdbeben, noch Ungeheuer, nicht einmal die Miliz fürchtete ich jetzt. Nur eines: schweißgebadet in meinem Bett aufzuwachen und krampfhaft meine leeren Hände zusammenzuballen, die noch vor wenigen Augenblicken ein unschätzbares Gut gehalten hatten - die Erlösung, um die ich so sehnlich gefleht und deretwegen ich mich so gequält hatte.
    Obenauf lag ein zweifach gefaltetes, kariertes Blatt, doch darunter waren sie schon zu sehen: die Seiten meines Tagebuchs! Mit zitternden Händen legte ich das Blatt beiseite - es konnte warten. Die ganze Welt konnte warten …
     
    »Dass ich in dem bezeichneten Brunnen - oder ›cenote‹, wie ihn die Indios nannten - fünf Tage und vier Nächte verbrachte und dass die
Umstände meines Aufenthalts in jenem Brunnen sowie meiner Befreiung daraus über die Maßen erstaunlich und wundersam waren.
    Dass es bis zum Anbruch der Regenzeit in Yucatán noch einige Wochen waren und die Tage überaus heiß und trocken und dass ich den quälenden Durst allein dadurch überstand, indem ich am frühen Morgen die Tautropfen an den steinernen Wänden des ›cenote‹ aufleckte. Doch noch mehr als Feuchtigkeit bedurfte ich der Hoffnung auf Errettung, die jedoch mit jeder Stunde, die ich in diesem Verlies verbrachte, dahinschwand.
    Dass ich am ersten Tage noch hoffte, Señor Vasco de Aguilar werde sich der Verpflichtung erinnern, die ihm sein höfischer Stand und seine edle Herkunft auferlegten, er werde an jene Schlachten zurückdenken, in denen wir gemeinsam Schulter an Schulter gekämpft und einander den Rücken gedeckt hatten, und er werde schließlich zurückkehren, um mich aus der Gefangenschaft zu befreien. Doch war jenem das Wort des verfluchten Fray Joaquín, dieser Schlange mit gespaltener Zunge, offenbar teurer als sein Stand und seine Ehre; Gott sei sein Richter.
    Dass ich am ersten und auch am zweiten Tage vom Grunde des Brunnens schrie und rief, um den treubrüchigen Señor de Aguilar herbeizuholen oder jemanden von den Soldaten, der sich womöglich besonnen hatte, um mir zu helfen, da ich immer gnädig und sanft zu ihnen gewesen war. Dass jedoch niemand kam und ich alsdann noch lauter zu schreien begann, in der Hoffnung, dass mich Indios finden und mir hinaushelfen oder mich zumindest töten würden, sei es aus Hass oder aus Barmherzigkeit.
    Dass ich am Ende des zweiten Tages von dem unaufhörlichen Schreien meine Stimme verlor und niemanden mehr zu Hilfe rufen konnte. Dass mich zugleich allmählich die Kräfte zu verlassen begannen und ich fast die ganze Zeit liegend, mit dem Gesicht zur Erde
verbrachte und den Herrn um Vergebung bat. Dass mein Bein anschwoll und schwarz zu werden begann und dass der Schmerz davon unerträglich war. Dass der Gedanke an einen langsamen und qualvollen Tod mir in solchem Maße zuwider war, dass ich bereits daran dachte, meinem Leben selbst ein Ende zu setzen, um weiteren Schmerz zu vermeiden. Dass ich dieses mit einem steinernen Indiomesser zu vollziehen trachtete, das ich unter den Knochen und Schädeln auf dem Boden gefunden hatte.
    Dass sich jedoch in der dritten Nacht, als ich bereits alle Hoffnung auf Rettung aufgegeben hatte, ein merkwürdiges Ereignis zutrug, welches verhinderte, dass ich meine sündige Absicht in die Tat umsetzte.
    Es ist zu erklären, dass die Stadt, in der sich der ›cenote‹ und die gesuchte Pyramide befanden, ein verlassener und wüster Ort war. Dass selbst die wilden Tiere und Vögel ihn mieden, so dass tags und nachts überall Stille herrschte. Dass in jener Nacht jedoch, von der ich nun berichten werde, in der Nähe Affen auf eine Weise zu brüllen begannen, dass es schien, als hätte etwas ihnen Angst eingejagt. Dass ich von diesem

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