Sumerki - Daemmerung Roman
dass ich selbst auf der Suche nach Erklärungen hierhergekommen war. Ich hatte gehofft, im Gegenzug für die übersetzten Kapitel von ihm zu erfahren, was dieses ganze Spiel, das er offenbar inszeniert hatte, eigentlich bedeutete, woher Casa del Lagartos geheimnisvolles Buch stammte und wie die Prophezeiungen der Maya zu interpretieren waren. Doch jetzt schien er es mit der Lektüre meiner Arbeit, zu der er mich so sehr angetrieben hatte, gar nicht eilig zu haben.
Während sich der Alte an einer Gaskochplatte zu schaffen machte, tat ich, um Zeit zu schinden, so, als würde ich mir die an der Wand hängenden Fotos ansehen. Lange brauchte ich mich nicht zu verstellen: Die Abbildungen waren tatsächlich überaus faszinierend.
Auf einem davon entdeckte ich zu meiner großen Verwunderung meinen eigenen Hund. Es bestand kein Zweifel: Der braune Fleck auf der Nase, der so aussah wie der Abdruck einer Pfote, war nicht zu verwechseln.
Noch bevor ich meinen Gastgeber fragen konnte, blieb mein Blick an dem Foto einer reizenden jungen Frau hängen. Dieses Bild hatte ich bereits gesehen. Eine Minute lang versuchte ich mich verzweifelt an die Umstände zu erinnern, dann fiel es mir plötzlich ein: Es war jene russische »Miss Universe«, die sämtliche dunkelhäutigen Models aus Venezuela und Puerto Rico geschlagen hatte. Wie hieß sie noch mal? Lidija … Knorosowa, oder?
»Meine Tochter«, bestätigte der Alte und reichte mir eine dampfende Tasse. »Ein schönes Mädchen, nicht wahr?« Die Gipsmaske seines Gesichts bekam für einen Augenblick einen Sprung. »Walja, meine Frau, und ich hatten uns schon lange ein Kind gewünscht, aber es klappte einfach nicht. Wir hatten die besten Ärzte aufgesucht, sogar bei mexikanischen Brujos waren wir gewesen - ohne Erfolg. Wir waren schon völlig verzweifelt. Und dann wurde sie plötzlich wie durch ein Wunder schwanger. Es heißt, späte Kinder sind schön wie Engel. Wussten Sie das? So war unsere Lida. Aber mit dreizehn war es plötzlich aus damit, sie wurde ein hässliches Entlein. Damals weinte sie manchmal aus Angst, dass sich niemand in sie verlieben würde. Ich sagte ihr dann immer: ›Du Dummerchen, für mich bleibst du immer die Schönste auf der ganzen Welt …‹« Er lächelte nachdenklich.
»Nicht nur für Sie«, bemerkte ich, ebenfalls lächelnd. »Sondern für die ganze Welt.«
Seine Miene verfinsterte sich und er entgegnete: »Was macht das für einen Unterschied?«
Ich verstummte und begann erneut konzentriert die Fotoabzüge zu studieren. Hier hing offenbar sein gesamtes
Leben - von der frühen Kindheit (ein ernster Junge in kurzen Hosen mit Trägern hält einen geschundenen Plüschbären kopfüber in die Höhe), über die von den Kriegsjahren geprägte Jugend (ein stattlicher Leutnant in Fliegeruniform posiert neben einem Abfangjäger aus den 40er Jahren), die Jahre der Ehe bis zum reiferen Alter (bei Ausgrabungen im Dschungel sowie eine Menge Fotos mit yukatanischen Pyramiden im Hintergrund).
Ich kehrte zu dem Bild zurück, das Knorosow neben dem Flugzeug zeigte. Die weichen, fast eleganten Konturen des Rumpfes erzeugten bei mir das zweite Déjà-vu. La-5 , flüsterte mir eine innere Stimme zu. Zum Teufel, woher kannte ich das?
»Seinerzeit galt es als das modernste und furchterregendste Jagdflugzeug der Welt«, erklärte der Alte, als ob er meine Gedanken synchronisierte. »Die Deutschen fürchteten es wie das Feuer. Ich habe nur noch das Ende des Krieges miterlebt - davor war ich zu jung. Als Bordmechaniker bin ich ein paar Kampfeinsätze mitgeflogen. Aber der Rest unseres Geschwaders bestand aus erfahrenen Piloten, die fast den gesamten Krieg mitgemacht hatten, von Moskau bis Berlin. Als junger Kerl, der ich damals war, habe ich diese Leute und die Fliegerei lieben gelernt. Als ich ausgedient hatte, studierte ich an einer Fachhochschule, denn ich träumte davon, in einem Konstruktionsbüro zu arbeiten. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich mein ganzes restliches Leben mit der Erforschung der Maya zubringen würde, ich hätte ihn ausgelacht …«
Er fuhr fort, von seinem Schicksal zu erzählen, davon, als welche Ehre er die Gesellschaft dieser erfahrenen Kampfpiloten
empfunden hatte. Es war klar, dass ihn dieses Thema außergewöhnlich stark beschäftigte und dass er fast seine ganze Jugend im Schatten der Flügel des La-5 verbracht hatte.
Und da erinnerte ich mich plötzlich - die letzten Wochen hatten mich gelehrt, nicht an Zufälle zu glauben -, woher
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