Sumerki - Daemmerung Roman
unerwünscht, und mein Versuch, ihn mit seiner Zukunft zu versöhnen, war kläglich gescheitert. Er hatte die Ankunft eines großen Magiers erwartet, vielleicht sogar die Erscheinung des Messias, doch stattdessen hatte ein Paktierer bei ihm angeklopft, ein Judas, dessen Stimme genauso klang wie die der ratlosen Ärzte.
Wie würde er über mein Schicksal entscheiden, nun, da ich seines im Voraus bestimmt hatte? Würde er mich mit seinem Blick zu Asche verbrennen? Würden sogleich all die blutrünstigen Dämonen aus seinen Alpträumen herbeistürzen, um mich zu zerfleischen? Ich war in Ungnade gefallen, und das bedeutete, dass ich meiner baldigen Bestrafung nicht entgehen würde …
»Ich kann Ihnen helfen, inneren Frieden zu finden«, sagte ich hastig, denn ich fürchtete, wenn ich es nicht schaffte ihn zu überzeugen, würde ich mich vor lauter Nichtswürdigkeit in Luft auflösen. »Die Ruhe zu finden, die Sie verdienen. Die Angst zu bezwingen. Sie trösten. Ihnen die Beichte abnehmen. Dafür bin ich hier.«
»Zum Teufel mit der Beichte!«
Es war ein gewaltiges Brüllen, wie ein Donner über dem yukatanischen Regenwald, von dem die Wände erzitterten und mir die Knie weich wurden. Erst jetzt begann ich wirklich - mit dem Herzen, nicht mit dem Kopf - zu glauben, dass er der Lenker der Geschicke unseres kleinen, absurden Universums war.
»Ich brauche keinen Beichtvater! Ich will mich nicht damit abfinden! Worauf habe ich all diese Wochen gewartet, wonach gesucht? Wozu das alles? Weshalb?«
Aber ich hatte kein Recht, meine Worte zurückzunehmen. Mit zusammengekniffenen Augen stand ich da, zitternd, jeden Moment auf meine Bestrafung gefasst, aber zugleich starrsinnig wie ein Ketzer im Schandkleid, die Hosen nass vor Angst, gebunden an den geteerten Pfahl und von Reisigstapeln umgeben. Ich konnte nicht zurückweichen. Wozu sollte ich noch lügen vor dem Jüngsten Gericht?
»Wie können Sie so blind sein? Die Prophezeiung enthält sämtliche Vorzeichen, die den Weltuntergang ankündigen. Und sie gehen alle in Erfüllung …«
»Lies mir diese Zeilen noch einmal vor!«, befahl er.
Ich gehorchte, denn ich hoffte, ihn so zur Vernunft zu bringen. Kaum hatte ich das Kapitel abgeschlossen, da verlangte Knorosow - schon etwas milder gestimmt -, dass ich es ihm noch einmal vorlese. Offenbar hatte er in meinen Worten etwas vernommen, das mir selbst verborgen geblieben war. Wie ich nun die Passage des Tagebuchs zum dritten, fünften, zehnten Mal - schon fast aus dem Gedächtnis - wiederholte, begannen sich die Zornesfalten in seinem Gesicht zu glätten, und die glühenden Kohlen in seinen Augen verblassten und erloschen schließlich ganz.
»Armer Kerl«, sprach er endlich. »Nichts hast du verstanden. Aber es ist dir doch gelungen, es mir mitzuteilen …«
Verwundert blickte ich ihn an und wartete auf eine Erklärung.
»Sie nennen keine Frist! Sie verbieten es sogar, den Tag des Weltuntergangs zu errechnen. Das Wissen ist tatsächlich eine Strafe. Wenn du weißt, wie viel Zeit du noch hast, wartest du dein ganzes Leben lang nur auf deine Hinrichtung - wie in der Todeszelle. Was aber, wenn diese Prophezeiung wieder einen Rechenfehler enthält? Man darf den Glauben nicht verlieren. Was, wenn ich doch noch gesund werde? Die Operation könnte doch auch gelingen! Hast du das Entscheidende an dieser Geschichte wirklich nicht begriffen? Die Maya verschwanden, weil sie ihr Ende selbst voraussagten und so fest daran glaubten, dass sie es selbst vorherbestimmten. Die Weissagung wäre nicht eingetreten,
wenn das Volk sie nicht selbst erfüllt hätte. Ich bin sterblich - was hat das schon zu bedeuten? Eine Linie wird erst dann zu einem Abschnitt, wenn man sie durch zwei Punkte begrenzt. Solange es diesen zweiten Punkt nicht gibt, ist sie ein Strahl, der vom Augenblick der Geburt an in die Unendlichkeit reicht. Ich will nicht wissen, wann ich sterbe! Und solange ich nicht weiß, wann meine Stunde schlägt, bin ich ewig!«
Hatte es einen Sinn, mit ihm weiter zu diskutieren? Hatte ich nicht alles getan, was ich tun konnte? Mit gesenktem Kopf ging ich auf den Ausgang zu. Dort, irgendwo unvorstellbar weit unten, fristete meine Welt ihre letzten Tage, und ich wollte mich noch rechtzeitig von ihr verabschieden. Den Arbat entlanggehen, mein Gesicht in den frostigen Januarwind recken, es mit den Schneeflocken auf meinen Handflächen erfrischen, meine Wange an der grauen Rinde der leicht gepuderten Pappeln reiben und dann meine Stadt von
Weitere Kostenlose Bücher