Sumerki - Daemmerung Roman
von der Stirn und streckte mühsam meine Finger, die krampfhaft das Stück Papier festhielten.
Mehrmals ballte ich meine Hand zur Faust und öffnete sie wieder, bis das Blut wieder floss. Bereits das dritte Kapitel in Folge spielte ich »Reise nach Yucatán«, und diesmal waren meine Empfindungen so real, als marschierte ich tatsächlich in einer Reihe mit den Spaniern durch den Urwald und ertastete mir mit einem biegsamen Sapote-Stecken den Boden unter einer dünnen Schicht aus Morast.
Mühelos stellte ich mir die Gefühle der nächtlichen Wachposten vor, während sie am Feuer saßen und in das Dickicht des Dschungels starrten. Im Schein der Flammen verwandelt es sich in eine massive, rote Wand. Auf dem kleinen Fleck festen Bodens inmitten endloser Morastlandschaft kommen sich die Männer wie in einer belagerten Festung vor. Die Sümpfe scheinen zu leben: Mit dumpfem Stöhnen steigen riesige Gasblasen empor, das Schilfrohr raschelt, die morschen Baumstämme knarzen. Mitunter wird dieser zähe Brei unwirklicher Geräusche von dem verzweifelten Schrei irgendeines nachtaktiven Tiers unterbrochen, das in diesem Augenblick sein Leben verwirkt, das eines anderen auslöscht, oder einfach nur nach seinem Weibchen ruft.
Nicht für eine Sekunde dürfen die Männer den Blick abwenden. Die Geschichte mit dem unglücklichen Ignacio Ferrer ist erst ein paar Stunden her, und auch Murgas und Rivas’ Tod hat die ganze Truppe starr vor Grauen mit angesehen. Nun gilt es, sich keine weitere Unaufmerksamkeit zu leisten. Die Wachleute rufen sich schlüpfrige Witze zu, erzählen sich Geschichten von ihren indianischen Konkubinen, ihren Frauen und Kindern in der Heimat - alles nur, um nicht an den Tod zu denken. Im Kampf zu sterben, noch ein paar Indioteufel mit ins Grab zu nehmen, das
fürchtet keiner von ihnen; da sieht man wenigstens dem Tod ins Angesicht und bleibt seinen Kameraden als mutiger Krieger in Erinnerung, wie es eines Soldaten würdig ist. Das ist etwas anderes, als in dieser klebrigen, sumpfigen Brühe zu ersaufen und dann noch in der Tiefe von irgendeiner Bestie aufgefressen zu werden.
Nun beginnt die Luft unangenehm zu sirren, bewegt von Millionen winziger Flügel. Dicke Wolken aus Sumpfmücken und Moskitos wirbeln um das Feuer herum, kleben an den Lampen der Wachen, kriechen in Nasenlöcher, Augen, Ohren, Münder. Um sie zu verjagen, muss man ununterbrochen mit den Händen herumfuchteln, was die kleinen Blutsauger ja nicht vertreibt, sondern nur daran hindert, sich auf der Haut niederzulassen. Unmöglich, sich zu konzentrieren - das Geschmeiß macht die Männer wahnsinnig. Rasende Wut staut sich in ihnen an, bereit sich zu entladen am Erstbesten, der daherkommt, egal, ob Freund oder Feind.
Einigermaßen Ruhe haben nur jene, die sich nicht zu schade waren, sich mit diesem nach Katzenscheiße stinkenden Indiozeug einzureiben; dafür müssen sie jetzt die Witze ihrer leidenden Kameraden über sich ergehen lassen. Der Gestank wird irgendwann aufhören, doch diesen Marsch durch den Sumpf werden sie wohl nie vergessen …
»Dass die Nacht, abgesehen von dem aufdringlichen Ungeziefer, ohne weitere Beeinträchtigung vorüberging und wir unseren Marsch bei Tageslicht schneller fortsetzen konnten, so dass wir am Abend bereits den gefährlichen Teil der Sümpfe hinter uns gelassen hatten. Dass wir endgültig auf festes und trockenes Land traten, von wo aus
uns erneut gesunder Wald und die üblichen Tiere begleiteten. Dass wir nun, beruhigt, beschlossen, etwas langsamer zu marschieren. Dass unser Marsch an jenem Tage friedlich dahinfloss und bis zur nächsten Rast niemand aus unserer Abteilung verschwand oder verletzt wurde.
Dass wir unsere Wegführer fragten, ob es noch weit zu gehen sei, und diese antworteten, wir würden die geheimen Tempel bald erreichen, es gelte nur noch den rechten Weg zu finden, auf dem wir innerhalb von zwei oder drei Tagen an unser Ziel gelangen würden. Dass diese Nachricht allen Soldaten und auch Vasco de Aguilar und Fray Joaquín sowie mir selbst neuen Mut einflößte und viele von uns feierten und den Maisschnaps tranken, den sie mitgebracht hatten, und sie unseren Führern dankten, da sie uns wieder auf festen Grund gebracht hatten.
Dass uns an jenem Tag auch die Jagd glückte, und Juan Nachi Cocom, begleitet von zwei Schützen, einige große Vögel sowie einen Eber erlegte, ein Glück, das uns seit fast einer Woche nicht mehr beschieden gewesen war, weshalb unsere Soldaten und wir bereits
Weitere Kostenlose Bücher