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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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noch so wie im Mutterleib? Es ist die Eintrittskarte zum verlorenen Paradies, die genau so lange Gültigkeit hat, wie das Wasser heiß ist. Ich kann es verstehen, dass ein Selbstmörder sich für diese Methode der Selbsttötung entscheidet; indem er sich die Venen in der warmen Badewanne öffnet, schließt er gleichsam den Kreis des Lebens, verlässt es in der ursprünglichen Position und beschenkt sich zudem mit einer zusätzlichen halben Stunde jener seligen Ruhe, die ihn auf der anderen Seite erwartet. Und nicht zuletzt hat er so immerhin dreißig Minuten, um es sich am Ende doch noch anders zu überlegen …
    Nach einer Weile trat der erwünschte Effekt ein: Meine sterbliche Hülle hatte sich vollkommen in dem aromatischen, schaumigen Sud aufgelöst, und mein Verstand war ganz und gar frei. Ich schloss die Augen und machte mich an die Planung der nächsten Schritte.
    Als Erstes galt es, innerhalb kürzester Zeit die Übersetzung des vierten Kapitels abzuschließen und zu redigieren. Ich nahm mir vor, die noch junge Nacht dafür zu nutzen. Bis zum nächsten Morgen war das sicher zu schaffen, denn ich war spät aufgestanden, und nichts hinderte mich daran, den ohnehin verschobenen Rhythmus auszunutzen, den Morgen noch mit Erledigungen zu verbringen und mich wiederum erst spät hinzulegen. Zunächst also - sobald die Geschäfte öffneten - würde ich eine Buchhandlung aufsuchen, um mir ein großes Wörterbuch anzuschaffen, vielleicht sogar zwei. Bibliotheksgänge nahmen zu viel Zeit in Anspruch; ich würde weitaus effizienter arbeiten können,
wenn ich zu Hause über sämtliche notwendigen Hilfsmittel verfügte.
    Dank der neuen Wörterbücher würde ich zügig jene Termini, deren Bedeutung ich noch nicht geknackt hatte, überprüfen. Und schließlich war - ebenfalls noch am Vormittag, ehe ich mich schlafen legen würde - ein Besuch im Büro angesagt, um das fertige Kapitel abzugeben. Wenn ich Glück hatte, wartete dort bereits der nächste Teil auf mich. Schließlich hatte der Mitarbeiter gesagt, dass dem Kunden die Zeit knapp werde. Das konnte ich nachvollziehen: Wenn er auf meine Übersetzungen angewiesen war, um den Text zu verstehen, so wartete er sicher genauso ungeduldig wie ich auf die Fortsetzung. Wir zogen an einem Strang, und ich hatte den Eindruck, dass ich auf seine Unterstützung zählen konnte.
    Sofern also der fünfte Teil der Aufzeichnungen bereits vorlag, würde ich mich seiner bemächtigten, beruhigt nach Hause gehen, mich ins Bett legen, vielleicht noch ein oder zwei Absätze vor dem Einschlafen lesen, den Hauptteil des Vergnügens und der Arbeit aber auf den nächsten Tag verschieben.
    Doch was, wenn im Büro nichts mehr für mich zu holen war? Eine Welle der Panik brach über mich herein, ich riss die Augen auf und starrte an die hohe Decke. Plötzlich schien mir das Wasser kühler geworden zu sein. Schnell drehte ich an dem roten Ventil, um warmes nachzufüllen.
    »Halb so schlimm«, sagte ich laut. Dann würde er es eben später vorbeibringen. Er war zufrieden mit meiner Arbeit. Kein Grund also, warum er nicht auch den fünften Teil in der Agentur abgeben sollte. Und natürlich würde ich auch
diesen kongenial ins Russische übertragen, so dass der sechste, der siebte und alle weiteren Teile wie von selbst folgen würden.
    Seltsam: Ich dachte gar nicht mehr darüber nach, wer mein geheimnisvoller Auftraggeber eigentlich war; mir genügte es vollauf, von ihm pünktlich mit der jeweils anstehenden Fortsetzung des Chronik versorgt zu werden. Was machte es für einen Unterschied, wer dieser Mensch war? Mir machte die Arbeit Spaß, und noch dazu sicherte sie mein Einkommen. Solange unsere Interessen übereinstimmten, hatte ich nicht vor, übermäßige Neugier an den Tag zu legen - am Ende würde ich den Besitzer des Buches nur abschrecken.
     
    Nach einem hastigen Frühstück (ich glaube, es waren wieder belegte Brote), kehrte ich an den Schreibtisch zurück, las die Übersetzung vom Vortag noch einmal durch und tippte sie ins Reine. Gegen sechs Uhr morgens war ich fertig, nur ein paar Wörter waren noch übrig, deren Bedeutung ich nicht ganz genau kannte und die ich lieber in einem anständigen Wörterbuch nachschlagen wollte, bevor ich den Text abgab. Ich hüllte mich in meine rot karierte Wolldecke und machte es mir mit einer Tasse Tee auf der Küchenbank bequem. Bis die Buchhandlungen und Bibliotheken aufmachten, blieben noch mindestens drei Stunden, und eine Erholungspause hatte ich zweifellos

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