Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
Vom Netzwerk:
von innen im Schloss steckte. Dass da gute fünf Liter Blut über den Boden verteilt waren, als hätte man ihm sämtliche Eingeweide rausgenommen. Dass die Leiche dann noch zehn Meter durchs Büro geschleift wurde und dass die Spur plötzlich abbricht …« Sie hielt inne und fügte giftig hinzu: »Und dass unsere Gäste jetzt nur noch Milizionäre und Journalisten sind.«
    »Und woher wissen Sie das alles?«
    »Sagte ich doch schon: Solange die da oben rumsuchten, haben sie regelmäßig bei uns zu Mittag gegessen. Die höheren Offiziere haben natürlich nichts rausgelassen, aber die jungen Milizionäre, die Wache stehen mussten, die konnten sich einfach nicht zurückhalten. Einer von denen war
wohl ziemlich scharf auf Lena. Jedenfalls hat er ihr so einiges erzählt. Stimmt’s, Lenka?«
    Die Kellnerin brachte mir gerade die Spießchen mit den Bratkartoffeln. Sie nickte, sagte aber nichts.
    »Na dann, guten Appetit«, schloss die Putzfrau und verschwand mit klapperndem Eimer in dem langen Korridor.
    Gut zehn Minuten lang stocherte ich nachdenklich in dem saftigen Fleisch herum, häufte die Kartoffeln zusammen und breitete sie wieder aus. Ich brachte nichts herunter: Kaum bewegte ich einen der Spieße auf meinen Mund zu, schon drehte sich mir alles, und Übelkeit stieg in meiner Kehle hoch.
    Fünf Liter, wiederholte ich in Gedanken. Als hätten sie ihm sämtliche Eingeweide rausgenommen … Die Türen von innen abgeschlossen … So, wie sie das gesagt hat, musste ich einfach gehorchen … Noch zehn Meter durchs Büro geschleift. Wohin? Mein Gott, das war doch egal! Entscheidend war doch, wer? Die Antwort auf das »Warum?« glaubte ich bereits zu kennen, obwohl ich mich fürchtete, daran zu glauben, ja auch nur daran zu denken.
    Zum zweiten Mal war jemand auf mysteriöse Weise verschwunden, und diesmal war ein Zufall ausgeschlossen. Nach meinem letzten Gespräch mit dem Büroangestellten hatte ich mir noch eingeredet, dass die Geschichte, in die ich verwickelt war, für mich keine Gefahr darstellte. War der andere Spanischübersetzer tatsächlich nur beim Einkaufen in einen Unfall verwickelt worden? Warum hatte er dann die Wohnungstür nicht hinter sich abgeschlossen? Und warum hatte er die Mappe mit der Übersetzung mitgenommen? Ohne abzusperren gehe ich persönlich höchstens
bis zum Müllschlucker. Moskau ist eine unruhige Stadt, ein Blick in die Rubrik »Aktuelles« einer beliebigen Zeitung, und man ist geneigt, sich doppelte Stahltüren einbauen zu lassen und nach Anbruch der Dunkelheit nicht mehr aus dem Haus zu gehen. Kritisch betrachtet sah dieser Fall stark nach einer Entführung aus. Allerdings musste der Übersetzer seinen Besuchern die Tür freiwillig geöffnet haben, und offenbar war er ihnen gefolgt, ohne sich zu wehren und ohne die Tür hinter sich abzusperren.
    Was auch immer mit meinem Vorgänger passiert war, es musste keineswegs etwas Schlimmes sein. Das Schicksal des armen Büroangestellten jagte mir dagegen kalte Schauer über den Rücken. Er hatte etwas gewusst, so viel war klar. Etwas, das er weder den Ermittlern noch mir mitzuteilen wagte, wahrscheinlich weil er befürchtete, man würde ihn für wahnsinnig halten. Hätte er der Miliz die Wahrheit gesagt, vielleicht hätten sie ihn unter Polizeischutz gestellt … oder in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Wer weiß, vielleicht wäre mein Mittelsmann dann noch am Leben? Wenig wahrscheinlich, erwiderte mein inneres Gegenüber: Verbrecher, die weder Türen noch Fenster benutzten, hätten wohl kaum vor den paar Wachleuten und Mauern einer geschlossenen Anstalt zurückgeschreckt.
    »Schmeckt’s nicht?«, fragte die Kellnerin betrübt und deutete auf die längst kalt gewordenen Spießchen.
    Gedankenverloren schüttelte ich den Kopf, und sie seufzte, wahrscheinlich besorgt um ihr Trinkgeld. Dann gab sie sich plötzlich einen Ruck und sagte: »Er hat hier immer zu Mittag gegessen.«
    »Wer?«

    »Ilja … Semjonow. Den sie umgebracht haben.« Lena schniefte. »Er war nett, immer gut gelaunt. Hat die ganze Zeit Späße gemacht, und das Wechselgeld durften wir jedes Mal behalten.«
    Ich nickte und versuchte mir vorzustellen, wie dieser unsympathische, arrogante Brillenfuzzi mit den Mädchen herumschäkerte. Schon wollte ich eine Stichelei loslassen, hielt mich aber doch zurück - schließlich war es bei mir mit den Frauen auch nicht immer glatt gelaufen.
    »An dem Tag hat Ilja auch bei uns gegessen. Ich weiß das noch, weil er nie so spät dran war.

Weitere Kostenlose Bücher