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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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voraussagte und Antworten auf sämtliche Fragen enthielt: zum Beispiel wann der betreffende Mensch eine Arbeit finden, wann er heiraten, wann ihm ein Unglück zustoßen und wann er sterben würde. Dieser Kalender galt als fest mit dem Schicksal dieses Menschen verbunden, man sang ihn den Kindern anstelle eines Wiegenlieds vor, so dass er sich tief in ihrem Bewusstsein verankerte und sie ihr gesamtes Leben hindurch begleitete. Jeder kannte sein persönliches Horoskop auswendig, und dieses Wissen beruhigte, half dem Einzelnen, seinen Platz in der Welt zu finden und zu begreifen, in welcher Phase seines Lebens er sich befand.
    Das System funktionierte so gut wie fehlerlos, da die Priester, die gleichzeitig die Rolle der Astrologen innehatten, dafür sorgten, dass sich ihre Weissagungen erfüllten. Wenn das Horoskop einem jungen Mann versprach, er werde seine Geliebte an einem bestimmten Tag an einem bestimmten Ort finden, so gab es ein anderes Horoskop, das einem gewissen Mädchen befahl, an ebenjenem Tag an diesem Ort zu erscheinen, da es dort auf seinen künftigen Ehemann treffen werde. Es gibt Erkenntnisse, dass auf diese Weise auch große Geschäfte eingefädelt wurden, so zum Beispiel der Kauf und Verkauf von Häusern, ja sogar Prügeleien, deren Beteiligte im Voraus informiert waren, dass es dazu kommen würde. Einige Wissenschaftler glauben, dass die Kriege zwischen den verschiedenen Völkern Yucatáns, welche diesem Glauben und dieser Kultur anhingen, ebenfalls in so genannten ›Chroniken
der Zukunft‹ geweissagt und somit vorbestimmt wurden. Die meisten Maya-Völker waren kriegerisch und einem bewaffneten Konflikt nicht abgeneigt. Die Möglichkeit, sich dem Schicksal zu widersetzen und den prophezeiten Kampf zu verweigern, kam ihnen gar nicht in den Sinn. Selbst die Zahl der gefallenen Feinde wurde in den Horoskopen geweissagt, und gab es zu wenige Todesopfer, so bestand immer noch die Möglichkeit, der Wirklichkeit nachzuhelfen, indem man ein paar Gefangene opferte.
    Diese Leidenschaft der Maya für Weissagungen nahm ihnen die Angst vor der Zukunft sowie die Furcht vor dem Tod. Die Horoskope erfüllten jeden Einzelnen von ihnen sowie die Völker insgesamt mit Selbstvertrauen. Doch im 10. Jahrhundert n. Chr. spielte dieser Umstand ihrer gesamten Zivilisation einen bösen Streich, von dem wir jedoch - aufgrund ungenügender wissenschaftlicher Belege - hier nicht berichten.«
     
    Einmal mehr hatte Jagoniel gekonnt meine Fantasie entfacht und im nächsten Moment das weiße Kaninchen mit Namen »Geheimes Wissen« wieder in seinem Zauberhut verschwinden lassen. Mit eleganter Verbeugung bedankte er sich beim Publikum für die Aufmerksamkeit und ging ohne einen Anflug schlechten Gewissens zu den Fragen der Kindeserziehung bei den Maya über, von denen in dieser merkwürdigen Passage ja eigentlich die Rede war.
     
    In dieser Nacht und am darauf folgenden Tag geschah etwas Seltsames mit mir: Je mehr ich begriff, dass mein Abenteuer zu Ende war, desto rasender blätterte ich in Kümmerlings Buch herum, las erneut die Prospekte durch, kroch mit der Lupe über die Karte der Staaten Campeche und Petén und
zermarterte mir den Kopf. Nach dem Abendessen setzte ich mich an mein Radiogerät, um mich mit den neuesten Nachrichten ein wenig von meiner fixen Idee abzulenken. Unvermittelt schrillte plötzlich eine Alarmglocke los.
    »Zerstörungen und Menschenopfer bisher ungekannten Ausmaßes sind die Folgen des Hurrikans Simone, der vor drei Tagen die Atlantikküste der USA erfasst hat« , berichtete der Sprecher. Reflexartig drehte ich die Lautstärke hoch. Wahrscheinlich, weil ich selbst erst tags zuvor das Gefühl gehabt hatte, ich befände mich im Auge eines Wirbelsturms.
     
    »Die Städte New Orleans, Houston und Dallas sind völlig verwüstet. Die meisten bewohnten Ortschaften in den Staaten Mississippi, Louisiana und Texas liegen in Trümmern. Besonders die Hauptstadt des Jazz hat stark gelitten: Neunzig Prozent des Stadtgebiets von New Orleans sind überflutet. Armee und Nationalgarde der Vereinigten Staaten sind derzeit nicht in der Lage, die Überlebenden zu evakuieren. Die Zahl der Opfer geht vorläufigen Angaben zufolge bereits in die Zehntausende. Der Bürgermeister von New Orleans, Ray Nagin, nimmt jedoch an, dass diese Zahl noch steigen wird. Die Stadt liegt in einer Niederung. Die bis zu zehn Meter hohen Wellen haben viele Deiche zerstört und zu der größten Überschwemmung in der Geschichte von New Orleans

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