Sumerki - Daemmerung Roman
Weges uns ungewöhnlich leicht fielen, da wir zum ersten Mal seit langen Tagen nicht mehr tückischen Sumpfboden, sondern eine gepflasterte Straße unter den Füßen hatten.
Dass jedoch die Leichtigkeit, mit der wir anfangs vorankamen, trügerisch war; dass die auf diese Weise verfluchte Straße, die ich in der Rückschau wie ein lebendes Wesen empfinde, die Wanderer einfing, indem sie sie mit ihren ebenen Steinen und dem offenen, von Lianen befreiten Himmel lockte. Dass wir eher hätten erahnen sollen, aus welchem Grund weder Pflanzen noch Tiere den ›sakbe‹ zu betreten wagten und er stets leer und sauber blieb.
Dass unserer Abteilung nach einiger Zeit erneut Schlimmes widerfuhr: Dass wir mit immer größerer Mühe vorankamen und uns unsere Schritte so viel Kraft kosteten, als sauge der ›sakbe‹ bei jeder Berührung des Steins durch unsere Füße ein Stück Leben aus uns heraus.
Dass ich, als ich dies spürte, von unserem Wegführer Juan Nachi Cocom die rechte Erklärung dafür forderte, worauf dieser aufrichtig antwortete, die alten Magier seines Volkes hätten die Straße verhext, er selbst sei in dieser Gegend noch nie gewesen, und er folge nur den Hinweisen der Alten, mit denen er vor unserer Abreise geredet habe. Dass diese ihn vor der magischen Eigenart der Straße des Schicksals gewarnt hätten, er jedoch durch ein Gebet zur Heiligen Jungfrau
Maria Kraft geschöpft habe, um seine Zweifel abzuschütteln und seine Angst zu überwinden; dass er nun jedoch fürchte, die spanischen Götter seien noch nicht bis in diesen Urwald vorgedrungen, und die Macht der alten Herrscher sei hier noch stärker als sie.
Dass ich ihn erneut trösten musste, ihn jedoch auch schalt und ihm versicherte, unser Herr Jesus Christus und die Heilige Gottesmutter Maria seien stets mit uns, während die Götzen der Einheimischen nur hölzerne Klötze seien, verdammt zu zerfallen und vergessen zu werden. Dass meine Worte ihn beeindruckten und er still wurde und mich nur anflehte, die Indiogötter nicht zu schmähen, solange wir uns in ihrem Reich befänden, und nicht im Schutze der Festungsmauern und klösterlichen Kruzifixe von Maní.
Dass uns mit Anbruch der Dunkelheit eine Furcht überkam, deren Ursache unergründlich war, und die ich nicht zu beschreiben imstande bin. Dass diese Furcht eine solche Macht über sämtliche Soldaten hatte, ja sogar über mich und Vasco de Aguilar und Fray Joaquín, dass wir alle im gleichen Augenblick und ohne ein Wort zu sagen an Ort und Stelle anhielten und ein Lager aufschlugen, um bis zum Anbruch des nächsten Tages zu warten.
Dass wir diese Nacht in großer Unruhe verbrachten, und, obgleich wir erschöpft waren von dem langen Marsch, niemand von uns ein Auge schloss. Dass wir stattdessen in einem schweren Halbschlaf verharrten, wieder und wieder aufgeschreckt von seltsamen Geräuschen, die aus dem Dickicht zu uns drangen.
Dass uns am meisten der wundersame und furchterregende Schrei eines uns unbekannten wilden Tieres verstörte, der unweit des Lagers aus dem Unterholz ertönte und an das Brüllen eines Jaguars erinnerte. Dass ich mich daraufhin entsann, im Morgengrauen der Nacht, als sich das Halbblut Hernán González versündigte, den gleichen Schrei im Schlaf vernommen zu haben.«
Ich legte die Blätter beiseite und rieb mir die Schläfen. Allmählich gewöhnte ich mich an den Gedanken, dass es zwischen den im Tagebuch beschriebenen Ereignissen und meinem Leben eine geheimnisvolle Verbindung gab, eine seltsame Synchronisation, die immer stärker zu werden schien. Ich war bereit anzunehmen, dass der furchterregende Schrei, den ich im Hof gehört hatte, nichts anderes war als das Echo jener Geister der Selva, die von den Konquistadoren aus ihrem Schlaf geweckt worden waren.
Ein Jaguar in Moskau? In meinem Hof? Vielleicht sollte ich die Boulevardzeitungen der letzten Woche durchblättern. Möglicherweise würde ich dort auf einen Bericht über ein entlaufenes Raubtier stoßen. Wenn das Buch, wie ich vermutete, tatsächlich magische Eigenschaften hatte, mit denen es die Wirklichkeit verzerren und seine eigenen Ereignisse in sie hineinprojizieren konnte, vielleicht hatte es ja einen Tierwärter so manipuliert, dass dieser vergessen hatte, die Tür eines der Verliese an der Krasnopresnenskaja abzusperren?
Meine abenteuerliche Theorie hätten wohl nur die Seelenklempner von der Sagorodnoje-Chaussee begriffen, aber das war mir egal. Ich beschloss, meine Überlegungen zunächst für mich zu
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