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Sumerki - Daemmerung Roman

Titel: Sumerki - Daemmerung Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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hatte, oder drohte dieses Schicksal jedem, der das spanische Tagebuch auch nur berührte?

    Plötzlich, genau an dieser Stelle, fiel der Dominostein.
    Die Kreaturen, die den neugierigen Bürofritzen und wahrscheinlich auch den Übersetzer des ersten Kapitels eliminiert hatten, meine schwere Krankheit, der nächtliche Gast aus dem Jenseits, der Schrei des yukatanischen Dämons in meinem Hof - all das waren Glieder einer einzigen Kette. Diese Kette führte in eine finstere Untiefe hinab, und an ihrem Ende war ein sagenhafter Schrein befestigt. In dem Versuch, an diesen Schrein heranzukommen, zog ich Glied um Glied aus der Dunkelheit hervor, und jedes davon war schrecklicher als das vorherige.
    Ich durchlebte das Schicksal des namenlosen spanischen Offiziers noch einmal, gemeinsam taten wir jeden neuen Schritt, kämpften gegen zunehmende Widerstände, als würde sich ein unsichtbares Seil immer fester um uns ziehen. Hartnäckig marschierten wir immer weiter, er im 16. Jahrhundert, ich im 21. Ich war kein Beobachter mehr, war unmerklich Teil dieser Geschichte geworden, steckte bereits bis zum Gürtel darin fest und grub mich - aus freien Stücken - immer tiefer hinein.
    Was ich erlebte, war ein Schatten, eine Wiederholung der Ereignisse von vor fünf Jahrhunderten. Oder war beides nur ein Echo, eine Reinkarnation bestimmter ursprünglicher Offenbarungen, die sich vor unvorstellbar langer Zeit vollzogen hatten? Vielleicht war dieses Wissen ja seit Urzeiten von Hüter zu Hüter weitergegeben worden, mal direkt von Lehrer zu Schüler, mal über Mittelsleute, war über Jahrhunderte verschollen gewesen, um dann plötzlich erneut aus dem Nichts in unsere Welt zurückzukehren, Scharen von Dämonen und Fabelwesen hinter sich herziehend,
von Generation zu Generation, von Epoche zu Epoche, von Mund zu Mund, von Pergament zu Papier, von der Geburt des Universums bis hin zu seinem letzten Atemzug, der doch von eben jener Offenbarung geweissagt werden sollte?
    Wenn dem so war, so durchlief ich wohl genau in diesen Minuten eine Art Weihe, und ich würde schon bald selbst das Amt des Hüters übernehmen, würde jenes Geheimnisses teilhaftig werden, es nach besten Kräften bewahren und irgendwann einmal einen Nachfolger finden müssen, an den ich es weitergeben konnte. Ob ich für die gewissenhafte Ausübung dieses schweren Amts eine Belohnung erwarten konnte? Die Mächtigen dieser Welt hatten ja offenbar ein immenses Interesse an den verborgenen Geheimnissen der Prophezeiung. Verliehen sie ihren Trägern Macht und Einfluss, wie Landa vermutete? Ich zweifelte daran.
    »El conocimiento es una condena« - ein weiterer Mosaikstein, den ich nun sorgsam neben einen anderen legte: »… Dass dieses Wissen ein Geheimnis sei, das von Menschen, Dämonen und Göttern gleichermaßen gehütet werde. Und dass dieses Wissen verflucht sei, ebenso wie all jene verflucht seien, die davon wissen …«
     
    Manchmal, wenn man über komplizierte Dinge nachdenkt und versucht, verschiedene Phänomene in Schubladen einzuordnen und ihre Gesetzmäßigkeit zu verstehen, entgleitet einem plötzlich der Ariadnefaden der Logik, und bis man ihn wiedergefunden hat, ist das ursprünglich so wohlgeordnete System nichts als ein Haufen loser Elemente, von denen die Hälfte völlig überflüssig zu sein scheint. In anderen Fällen lässt man sich von einer besonders eleganten
Lösung zu sehr ablenken, beginnt einzelne Teile der Konstruktion zu vernachlässigen, nur weil sie nicht in das schöne Konzept hineinpassen - und am Ende muss man wieder von vorne beginnen.
    Beim Abgleich der einzelnen Bestandteile dieser Geschichte hatte ich eines nicht bedacht: Was, wenn das alte Manuskript trotz der Zusage des indianischen Führers dem Autor des Berichts niemals in die Hände gelangt war, wenn es jemand anders gefunden und dem Guardian von San Antonio de Izamal zugestellt hatte? Das Autodafé hatte doch stattgefunden! Welchen Sinn hätte dieses gehabt, wenn der zentrale Teil dieses komplexen Plans, als den ich die ganze Intrige rund um die indianische Chronik betrachtete, gescheitert war, und Diego de Landa das Manuskript nie erhalten hatte? Hatte er es aber doch bekommen, so hatte dies unweigerlich zu radikalen Brüchen in seiner Laufbahn geführt. Gab es solche? Durchaus. Der Skandal um die Bücherverbrennung, die Abberufung nach Spanien und schließlich der Prozess, den man wegen Amtsmissbrauchs gegen ihn angezettelt hatte.
    Und dann erst die persönliche Fürsprache zu

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