Sumerki - Daemmerung Roman
die tektonischen Platten in meinem Kopf zu einem Gesamtbild zusammenfügten. Die sich häufenden Naturkatastrophen waren ja sogar mir aufgefallen. Und doch war ich bisher nicht imstande gewesen, die kleine Brücke zwischen den neuesten Erkenntnissen aus dem Tagebuch und den Ereignissen auf unserem Planeten zu schlagen. Die Furcht hatte mich davor bewahrt.
So viel stand fest: Das Leid der Bevölkerung jener pakistanischen Bergdörfer und der in den Tälern gelegenen, schmutzigen, armen Städte stand in unmittelbarem Zusammenhang
mit der Verzweiflung der Überlebenden auf den indonesischen Inseln, deren Häuser und Familien von gigantischen Wellen fortgespült worden waren. In ihrem Schreien und Weinen hallten die fassungslosen Rufe der Bewohner von New Orleans wider, die, ihrer Häuser und Verwandten beraubt, den Glauben an eine bessere Regierung verloren hatten und mit letzter Kraft ihre Ruinen gegen Plünderer verteidigten.
Es hatte so ausgesehen, als ob sich all diese Dinge unabhängig voneinander ereigneten, weil sie auf verschiedenen Kontinenten stattfanden und unterschiedlicher Natur waren. Aber das war ein Trugschluss. Tatsächlich gab es einen gemeinsamen Faden, der all diese bunten Fetzen zusammenflickte, und die Nähnadel unterbrach ihr teuflisches Werk nicht einmal für eine Sekunde, so dass der Teppich immer weiter wuchs. Und nun begriff ich allmählich, dass die Krämpfe, in denen sich die Erde wand, nicht nur nicht aufhören, sondern im Gegenteil immer stärker werden und sich auf neue, bisher verschonte Regionen ausdehnen würden.
Wenn man im eigenen Hof auf tote Ratten stößt, kann man den kleinen Kadavern angewidert ausweichen oder die armen Tierchen bemitleiden. Man kann darin aber auch das Anzeichen einer drohenden Pestepidemie erkennen. Bisher hatte ich, wann immer ich Zeitung las oder Radio hörte, entweder Mitgefühl für die Mexikaner empfunden oder erschöpft weitergeblättert, unfähig, die dritte Woche hintereinander gemeinsam mit den Rettungskräften im Küstensand von Java zu graben, um von dort aufgedunsene und verstümmelte Leichen von Einheimischen und Touristen hervorzuziehen.
Ohne die Hilfe meines Souffleurs aus dem Tagebuch wäre ich niemals auf die Idee gekommen, das Echo pakistanischer Erdbeben, asiatischer Flutwellen, amerikanischer Tornados und mexikanischer Überschwemmungen als Präludium zum Trompetenkonzert der Apokalypse zu begreifen. Ich hatte es schon eine Weile vernommen, aber jetzt erst wusste ich diese Nachrichten richtig einzuordnen und mich entsprechend zu verhalten. Aber war es nicht längst zu spät?
Plötzlich erkannte ich: Selbst wenn ich dazu ausersehen war, die Nachfolge des unbekannten Konquistadoren anzutreten und von ihm das Wissen über die Prophezeiungen der Maya zu erhalten, so war ich wohl kaum in der Lage, dieses an künftige Generationen weiterzugeben. Die Weissagungen bezogen sich ja nicht auf irgendeinen entfernten Punkt, der im Nebel der Zukunft kaum zu sehen war, sondern auf eine Zeit, die die meisten von uns, und offenbar auch ich selbst, miterleben würden. War dies der Grund, warum Dämonen, Menschen und Götter plötzlich so erbittert um diesen alten Bericht kämpften, den mir eine der Parteien aus einer Laune heraus zugespielt hatte? Was genau war eigentlich mein Part in diesem Drama, das vor einigen Jahrtausenden begonnen und erst jetzt seinen Höhepunkt erreicht hatte? Wenn ich nicht einfach nur der Hüter des Geheimnisses war, was konnte ich dann noch tun?
Entkräftet sank ich aufs Sofa und drückte mich in eine Ecke, zermalmt, niedergeschmettert, taub. Hätten sich über mir die Himmel geöffnet und von dort eine donnernde Stimme mich beim Namen gerufen, hätte mich das nicht mehr erschüttert als jene Andeutungen aus der nächtlichen Radiosendung. Allmählich drangen wieder die ersten Geräusche
zu mir durch. Minister Schaibu berichtete noch immer mit monotoner Stimme von den Erfolgen seiner Behörde.
»… natürlich haben wir alles unter Kontrolle. In den letzten Jahren ist der Etat des Ministeriums für Katastrophenschutz, wie Sie wissen, deutlich aufgestockt worden. Wir verfügen heute über ausreichend Mittel, um die volle Funktionsfähigkeit sämtlicher Strukturen zu gewährleisten. Die Regierung hat das Ausmaß der Gefahr richtig eingeschätzt und ist gerüstet, diese abzuwehren. Unsere Rettungstrupps werden ständig geschult, das Ministerium mit neuester Technik ausgestattet. Leider gibt es noch kein sinnvolles
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