Sumerki - Daemmerung Roman

Frühwarnsystem für Erdbeben, Überschwemmungen und Orkane. Aber wir kooperieren mit den führenden Forschungsinstituten, die in dieser Richtung arbeiten. Es gibt eine erprobte Vorgehensweise für die Evakuierung von Teilen der Bevölkerung aus Katastrophengebieten. Dank ihrer hohen Mobilität sind unsere Einsatzkräfte in der Lage, jede betroffene Region in weniger als vierundzwanzig Stunden zu erreichen. Insgesamt kann man zum heutigen Zeitpunkt also davon ausgehen, dass wir praktisch mit jeder Krisensituation fertigwerden können. Sollte es auf dem Gebiet der Russischen Föderation zu Naturkatastrophen kommen wie derzeit in Asien und Lateinamerika, so werden wir, denke ich, damit nicht schlechter, ja vielleicht sogar besser zurechtkommen als unsere ausländischen Kollegen.«
    »Danke, Sergej Kotschubejewitsch. Und nun, verehrte Hörerinnen und Hörer, haben Sie die Gelegenheit, dem Minister selbst Fragen zu stellen. Hier noch einmal unsere Telefonnummer …«
     
    Ich hatte keinen Zweifel daran, dass es sich bei der Sendung um eine Aufzeichnung handelte, dennoch lief ich einem
automatischen Impuls folgend in den Flur und griff nach dem Hörer. Nach einigen langen Ruftönen hörte ich plötzlich ein leichtes Klicken, und eine sanfte, mädchenhafte Stimme erkundigte sich nach meinem Namen und Wohnort und teilte mir dann mit, sie würde mich mit dem Studio verbinden.
    Wer weiß, vielleicht war der allmächtige Minister ja selbst nur ein einfacher Bauer in dieser kosmischen Schachpartie, auf deren Ende wir zusteuerten? Welcher Teufel hätte ihn sonst geritten, sich mitten in der Nacht in ein Rundfunkstudio zu schleppen für eine Sendung, die allenfalls mit einem Randgruppenpublikum rechnen konnte? Wer würde mir eine bessere Antwort auf meine soeben formulierte Frage geben als der oberste Beamte im Ressort für Epidemien, Desaster, Hungersnöte, Stürme und Erbeben? Hier offenbarten die Schachspieler zu beiden Seiten des Bretts eine gewisse Raffinesse und einen ausgeprägten Sinn für Ironie beim Spiel. Anerkennend neigte ich den Kopf, um zu zeigen, dass ich dieses kleine Manöver zu schätzen wusste.
    Doch nun war ich am Zug.
    »So, hier haben wir den ersten Hörer aus Moskau in der Leitung. Bitte sehr, Sie sind auf Sendung!«
    Ich räusperte mich, nahm erstaunt mein Echo aus dem Radio wahr, fuhr mit der Zunge über meine trockenen Lippen und sagte leise, aber deutlich: »Sagen Sie, Sergej Kotschubejewitsch, glauben Sie nicht, dass all Ihre Bemühungen völlig nutzlos sind, weil ganz einfach das Ende der Welt bevorsteht?«

LA CONDENA

    Z u meiner Überraschung schien den Minister diese absurde Frage überhaupt nicht zu verwundern, denn seine Antwort klang ganz selbstverständlich und nüchtern: »Natürlich. Die Regierung ist darüber informiert. Worin bestünde sonst der Sinn all dieser Vorkehrungen, die derzeit getroffen werden? Wir …«
    »Was? Was ist da los?« , unterbrach ihn plötzlich die Stimme des Moderators. »Das ist doch …«
    Die Sendung brach ab, ein leises Zischen ertönte aus dem Lautsprecher, dann schaltete sich das Gerät von selbst aus.
    Das Teeservice in der Anrichte begann leise zu klirren, dann stimmten misstönend die Teller im Küchenschrank ein, die Deckenlampe begann hin und her zu schwanken wie eine Kinderschaukel, die immer mehr Schwung bekommt - und erlosch. Die wenigen noch erleuchteten Fenster im Haus gegenüber wurden schwarz, auch die Straßenlampen im Hof verloschen, und alles ringsum versank in vollkommener, undurchsichtiger Finsternis. Das Scheppern des Geschirrs wurde immer unangenehmer und hysterischer, der Boden unter meinen Füßen begann krampfhaft zu zittern, ein weiches Rascheln folgte, und etwas rieselte auf mein Haar.
    Ein paar Sekunden vergingen, bis aus den verstaubten Winkeln meines Gedächtnisses Informationen aus einem vor längerer Zeit gelesenen Zeitungsartikel in mein Bewusstsein vordrangen. Der Artikel war im Rahmen einer
Serie unter dem Titel »Enzyklopädie der Extremfälle« in einer der kostenlosen Moskauer Zeitungen erschienen. Im Falle eines Erdbebens wurde dazu geraten, sich unter einen Türstock zu stellen, denn dort sind die Überlebenschancen am größten, wenn man verschüttet wird. Ich klammerte mich am Tisch fest, der alles andere als fest stand, etwas stieß gegen mein Knie, ich fiel zu Boden und versuchte mich in der Dunkelheit zur Tür zu tasten. Doch schon nach wenigen Augenblicken war alles vorbei: Ich spürte förmlich, wie sich die