SUMMER DAWN (Sommerdämmerung) (German Edition)
verließ das fremde Hotelzimmer. Er ging den Gang hinunter, betrat sein eigenes Zimmer und holte seinen Koffer, den er noch nicht ausgepackt hatte, aus dem Schrank.
Keine Zeit, um zu schlafen.
Unten an der Rezeption war niemand mehr. Er schrieb auf einen Zettel «Musste abreisen. Familienangelegenheit. Alles bezahlt.»
Eine halbe Minute später brauste der dunkelgraue Citroën davon.
5
Es war bereits nach Mitternacht, als jemand an Tonys Tür klopfte.
«Herein!»
Takeda betrat den Raum, blieb stehen, und verneigte sich in der für ihn typischen Art, die mehr einem Zunicken glich und in etwa bedeutete «keine Zeit für ausführliche Begrüßungen».
Tony tat es ihm gleich und nickte ihm zu. Erst 24 Stunden waren vergangen seit Tony den Asiaten per SMS benachrichtigt hatte.
Er muss ohne lange Pausen hergefahren sein. Sein Anzug und seine Erscheinung sehen trotzdem tadellos aus. Offenbar kümmert er sich mehr um seine Garderobe als um seinen Schlafbedarf.
«Gut, dass du wieder da bist! Es gibt Neuigkeiten von Kranyek.» Tony war froh, den Mann wieder an seiner Seite zu wissen.
«Das habe ich mir fast gedacht. Auch ich habe Neuigkeiten aus Berlin.»
«Sehr gut! Am besten holen wir die anderen auch dazu.»
«Das wäre sicher sinnvoll.»
Tony benachrichtigte Havering, Natalia und Vince.
Takeda schaute sich im Raum um und stellte fest, dass die anderen während seiner Abwesenheit fleissig gewesen waren. Die grossflächige Wand gegenüber von Tonys Bett war von den drei alten Malereien befreit worden, die da vorher gehangen hatten, und war jetzt vollgeklebt und vollgepint mit Zetteln, Fotos, Prints von Satellitenbildern und anderen Informationsfetzen. Takeda bestaunte die Einzelheiten.
Havering trat ins Zimmer. «Wie du siehst, waren wir nicht untätig. Da uns die ganze Geschichte immer noch reichlich verworren schien, haben wir alle relevanten bekannten Fakten, Orte, Personen, Geschehnisse und Verbindungen unter denselben an der Wand veranschaulicht. Es bleiben einige Fragezeichen. Aber die Übersicht könnte uns helfen, etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Vielleicht kannst du, Naoto, die Informationen noch da und dort ergänzen. Vielleicht weißt du etwas, das wir noch nicht wissen oder das für den Fall von Bedeutung sein könnte.»
Takeda kniff die Augen zusammen. Es war äußerste Vorsicht geboten, wollte er seine falsche Identität nicht aufs Spiel setzen. Er fragte sich, ob das eine gut getarnte Falle war. Er beschloss, Vertrauen vor überhöhter Vorsicht walten zu lassen.
«Ich denke, ich kann noch ein, zwei Fakten ergänzen, ja.»
Als sich alle im Raum versammelt hatten, machte sich Takeda an der Wand zu schaffen. Er schrieb einige Fakten auf bereitliegende Post-Its und hängte sie an eine freie Stelle an der Wand. Darauf stand «Berlin», auf einem anderen die Nummer, welche er gefunden hatte, und auf einem dritten «Hotel Magnus».
Takeda formierte eine zweite Gruppe von Zetteln mit den Begriffen «Attentat», «Privatermittler», «Tokyo», «Schütze?».
Die anderen schauten ihn fragend an. Takeda hatte beschlossen, ein klein wenig mehr über seine Person zu offenbaren, ohne allzu weit zu gehen. Der richtige Mix aus Schwindel und Fakten musste auf den Tisch, sonst würden die anderen früher oder später misstrauisch. Dessen war er sich bewusst.
«Ich bin sehr der Diskretion verpflichtet, daher meine Zurückhaltung. Ich bin Privatermittler und wurde engagiert, um den Mord an einem einflussreichen Mann in Tokyo aufzuklären. Der Ermordete hat vor seinem Ableben geschäftliche Beziehungen zum Top Management der Phy Corporation gepflegt. Dies führte mich auf die Spur, welche ich nach wie vor verfolge. Ich habe inzwischen, wie gesagt, herausgefunden – bei der Befragung eines Zeugen während meiner Nachforschungen – dass der Tod des Mannes tatsächlich in einem Zusammenhang mit gewissen Machenschaften des Phy-Managements stehen könnte. Es ist sogar davon auszugehen, dass dem so ist. Meine momentan stärkste Vermutung geht dahin, dass der einflussreiche Mann in Tokyo von einem Attentäter der Legion mit einem Scharfschützengewehr erschossen worden ist.»
«Danke für deine Offenheit, Naoto.» Havering blickte Takeda freundlich an. «Wie es aussieht, haben wir ein erstes einigermaßen handfestes Indiz hinsichtlich eines bestimmten Falles, dass die Legion auch vor Mord und anderen schweren Verbrechen nicht zurückschreckt. Ich habe dies nach meinem eigenen
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