Summer Sisters
Rucksack gelassen hatte, etliche Meter entfernt weiter oben am Hang.
Kopfschüttelnd hob sie ihren Schlafsack auf und wickelte ihn um ihre Schultern. Anscheinend hatte er doch keine magischen Kräfte. Langsam stieg sie den Hügel hoch.
Sie fand ihren Rucksack sofort - genau da, wo sie ihn versteckt hatte -, zog ihn zwischen den Zweigen hervor und lief zum Lager. Im ersten Moment war sie erleichtert, dass die Zelte weg waren und sich niemand über sie lustig machen konnte, weil sie im Schlaf den Hügel runtergerollt und von bösartigen Ameisen angegriffen worden war.
Aber die Erleichterung dauerte nur kurz.
Wo waren die anderen?
Sie lief über die Lichtung und sah den Ring aus Steinen, in dem das Lagerfeuer gebrannt hatte. Ja, das war eindeutig der Lagerplatz. Sie war nicht in einem Paralleluniversum aufgewacht.
Ama versuchte, sich an das Programm für heute zu erinnern. Sie wollten durch einen Canyon wandern. Aufbruch am frühen Morgen, eine Stunde vor Sonnenaufgang.
Angst zuckte auf und fraß sich in ihre Eingeweide, wurde von Sekunde zu Sekunde unerträglicher.
Hatten die anderen sie zurückgelassen?
Wie konnte so was passieren?
Hatte denn keiner gemerkt, dass sie nicht da war?
Sie dachte daran, wie oft sie hinter der Gruppe hergelatscht war. Hatte niemand ihren Rucksack gesehen? Aber den hatte sie ja sorgfältig im Gebüsch versteckt.
»Hallo?«, rief sie. Ihre Stimme klang schwach und ängstlich.
»Hallo!«, versuchte sie es lauter.
Wenn sie gleich loslief, konnte sie die anderen vielleicht noch einholen. Sie versuchte, nicht daran zu denken, dass sie sie noch nicht mal einholen könnte, wenn sie vor allen anderen losgelaufen wäre.
In welche Richtung waren sie überhaupt gegangen?
Ein Canyon musste im Tal sein. Canyons waren vom Wasser gemacht worden. Wasser lief nach unten.
Amas Gedanken rasten wie wild. Sie konnten nicht in die Richtung gegangen sein, in die sie gerollt war, denn dann hätten sie sie ja gesehen.
Von Panik übermannt, stopfte sie ihren Schlafsack in den Rucksack. Sie war schon einige Meter gelaufen, als sie merkte, dass sie noch gar nicht angezogen war. Sie riss die erstbesten Sachen aus dem Rucksack, die sie zu fassen bekam, und zog sie über ihre lange Unterwäsche.
Dann marschierte sie den Hügel hinunter und versuchte, die Panik zu bändigen. Sie lief schneller und suchte im Gehen die Bäume nach irgendwelchen Wegmarkierungen oder Zeichen,
aber sie entdeckte nichts. Nur Bäume und Bäume und Bäume, und alle sahen gleich aus.
Was soll ich tun?
»Hallo?!«, brüllte sie sinnlos die Bäume an.
Sie beschleunigte ihre Schritte, bis sie fast rannte. Ihre Füße schienen kräftiger geworden zu sein. Ama lief immer weiter und merkte kaum, dass sie fast keine Luft mehr bekam und dass ihre Lungen schmerzten. Auch das Gewicht ihres Rucksacks nahm sie fast nicht wahr.
»Hallo?«, brüllte sie eine Stunde später einen Hügel hinunter und suchte nach irgendeinem Anzeichen von Wasser. Nichts war zu hören. Niemand war zu sehen.
14
»Kann ich dich mal was fragen?«
Jo war ganz früh zum Restaurant gekommen, um Zach vor der Arbeit abzufangen.
Zach sah sich um und dann auf das Handy in seiner Hand.
»Alles, was du wissen willst«, sagte er lässig, aber er sah nicht aus, als ob er es wirklich so meinte. »Bis meine Schicht in drei Minuten anfängt.«
»Hast du eine Freundin?«
Heute Nacht hatte sie stundenlang wach gelegen und über nichts anderes nachgedacht als darüber, wie sie ihn am besten nach seiner Freundin fragen könnte, und das war das Ergebnis gewesen. Sie hätte ihn auch Hast du eine andere Freundin? fragen können, aber das war ihr zu unklar und auch zu aufdringlich erschienen. Wenn er sie wirklich gern hatte, würde er sagen: Du bist meine Freundin, Goldie .
»Ob ich was habe?«, sagte er, als wäre er schwerhörig.
»Eine Freundin«, wiederholte Jo. Außer mir , wollte ein Teil von ihr sagen. Außer dir?, hätte er sagen sollen.
»Meinst du Effie?«
Das war die falsche Antwort.
»Ich weiß nicht, wen ich meine. Ist Effie deine Freundin? Ist das die Schwarzhaarige mit den großen... Falls sie das ist, dann weiß ich, wen du meinst.« Jo wünschte, ihr Mund würde aufhören zu quasseln.
»Effie und ich haben im letzten Sommer zusammen hier gejobbt. Und ja, wir hatten was miteinander.« Er fummelte an seinem Handy herum. »Ich hab nicht gewusst, dass sie dieses Jahr wiederkommt.«
Darauf möchte ich wetten. Wahrscheinlich sagte Zach gerade
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