Sumpfblüten
bestanden, laut aus einem Taschenbuch über diese Insekten vorzulesen, die bei weitem die tödlichsten Kreaturen auf Erden waren. Shreave wusste, dass das stimmte, weil er mal einen Fernsehfilm darüber gesehen hatte, im Animal Planet Chanel. Millionen von Menschen gingen an ekligen Krankheiten zugrunde, die von Moskitos übertragen wurden, unter anderem an Denguefieber, Malaria, Gelbfieber, St.-Louis-Enzephalitis und dem West-Nil-Virus. Im Laufe der Jahrhunderte hatten diese fliegenden Schädlinge Päpsten und Tagelöhnern gleichermaßen einen schmerzensreichen Tod gebracht und starke Armeen verheert.
Unter den ungefähr 2500 bekannten Spezies trägt allerdings der eher kleine Moskito, der in den Salzmarschen der westlichen Everglades beheimatet ist, kein für den Menschen tödliches Pathogen in sich. Diese Tatsache hätte Boyd Shreave hoch erfreut, wäre sie ihm bekannt gewesen. Verzweifelt fuhr er fort, nach seinem winzigen Peiniger zu schlagen, den er in der Düsternis vor dem Morgengrauen zwar nicht sehen konnte, dessen bedrohliche Gegenwart jedoch ein schwaches, aufreizendes Summen verriet. Jedes Verstummen des sirrenden Geräusches schreckte ihn auf, denn das bedeutete, dass der Moskito sich heimtückisch irgendwo niedergelassen hatte – wahrscheinlich auf einem verwundbaren Abschnitt von Shreaves Haut. Gelegentlich ertappte er sich dabei, wie er wild an eingebildeten Stichen kratzte, um die toxischen Mikroben wegzuschaben.
Während Shreave sein verzweifeltes Duell mit dem räuberischen Blutsauger ausfocht, wurde Honey Santana es leid, ihm dabei zuzusehen, wie er albern um sich schlug oder sich manisch kratzte wie ein ekzemkranker Pavian. Schließlich rollte sie ihr Taschenbuch zusammen und zermatschte den Moskito mit einem geschickten Schlag an einem Knopf von Shreaves geblümtem Hemd. Er richtete eine Taschenlampe auf den kleinen Todesflecken, dessen Anblick ihn tröstete, bis er sich von jenem Animal-Planet-Film her daran erinnerte, dass Moskitoblut nicht rot war. Es war sein eigener sterblicher Nektar, der aus dem zermalmten Kadaver gespritzt war; der hinterlistige kleine Drecksack hatte ihn doch gestochen.
»Ich bin tot«, stöhnte er.
Honey nieste. »Seien Sie doch nicht so eine Memme«, sagte sie.
Ihr Heuschnupfen hatte ihr die ganze Nacht über zugesetzt. Wieder nieste sie und fragte: »Wie wär’s mal mit ›Gesundheit‹? Sind Sie von Wölfen aufgezogen worden, oder was?«
Shreave schnippte die tote Mücke weg. »Übertragen diese Viecher nicht die Vogelgrippe oder so was?«
»Nein, Boyd, das tun Vögel.«
»Und wie wär’s mit HIV?«
»Wie wär’s mit einem Beruhigungsmittel?«, fragte Honey.
Shreave suchte seinen Körper besorgt nach verräterischen Schwellungen ab. »Dank diesem kleinen Scheißer könnte ich ohne weiteres hier draußen krepieren.«
»Stechen tun nur die Weibchen«, erklärte Honey.
Shreave blickte auf und zog ein säuerliches Gesicht. »Herrgott, irgendwas stinkt hier.«
Honey konnte nichts riechen, weil ihre Nase lief. Ziemlich undamenhaft wischte sie sie sich mit dem Ärmel ab.
»Nach Fisch«, beschwerte sich Shreave. »Wie ein Graben voller vergammelter Fische.«
»Es ist Ebbe, das ist alles.« Honey nieste erneut. Dann stand sie auf und sagte: »Also los, Boyd.«
Er beäugte sie unsicher. »Wo wollen wir denn hin?«
Sie zeigte nach oben, auf den Wipfel des Flammenbaumes.
»Und was ist, wenn ich nein sage?«, wollte er wissen.
»Lassen Sie mich raten: Sie haben auch Angst vor Spatzen.«
»Und wenn ich einfach keine Lust habe?«
»Dann können Sie verdammt noch mal selber sehen, wie Sie von dieser Insel runterkommen«, sagte Honey und begann, den verwitterten gedrehten Stamm hinaufzuklettern.
Shreave folgte ihr widerwillig und mit einer Unbeholfenheit, die anzusehen fast schon schmerzhaft war. Vor einer Million Jahren hätte er einen leicht erreichbaren Happen für einen Säbelzahntiger abgegeben.
»Wie hoch?«, hörte sie ihn keuchend rufen.
»Bis ganz nach oben, Boyd. Sonst lohnt es sich nicht.«
Hoch oben in dem alten Flammenbaum, zwölf Meter über dem Erdboden, suchte Honey sich einen stabilen Ast aus. Nach Osten gewandt, setzte sie sich, ließ die langen Beine baumeln und schaukelte in der milden Brise. Es fühlte sich an, als wäre sie auf einem Segelboot.
Als Shreave sie erreichte, war er hochrot im Gesicht und japste nach Luft. »Ich wette, ich hab Fieber. Ich wette, dieser Scheißmoskito hat mir irgendwas angehängt.«
Honey wies ihn an,
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