Sumpfblüten
Shreave selbstverständlich auf Lebenszeit von den Pfadfindern ausgeschlossen wurde.
Jetzt, als er im Mondlicht lag, stimmte Shreave sich angespannt auf die vielen Laute der Nacht ein. Er fühlte sich wilden Raubtieren auf törichte Weise wehrlos ausgeliefert. Was wusste diese dämliche Honey schon von Pantern? Die Haare auf seinen Armen stellten sich auf, als er ein gewichtiges Tier – ganz bestimmt kein Waschbär – langsam durch die Bäume scharren hörte. Shreave tastete nach einem Stein oder einem dicken Stock, doch alles, was er fand, war eine Handvoll Austernsplitter.
»Hier riecht’s nach Fisch.« Das war Honeys Stimme.
»Von den Campern vor uns«, sagte Shreave.
»Kein gebratener Fisch. Roher Fisch«, erwiderte sie. »Ich schwör’s, ich kenne diesen Geruch.«
Shreave versuchte, unbekümmert zu klingen. »Ich höre dieses Vieh, von dem ihr vorhin geredet habt.«
»Hört sich an, als wär’s ganz schön groß, nicht wahr?«
»Kann man wohl sagen.«
»Dann gehen Sie doch mal nachsehen«, schlug Honey vor. »Vergessen Sie Ihre Taschenlampe nicht.«
Shreave rollte sich auf die Seite und dachte: Die ist ’ne echte Komikerin.
»Gute Nacht, Boyd.«
»Scheren Sie sich zum Teufel.«
Nach einiger Zeit verstummten die Geräusche zwischen den Bäumen, und eine der Frauen begann leise zu schnarchen. Shreave musste pissen wie ein Springbrunnen, doch es widerstrebte ihm, sich in die nächtliche Fauna hinauszuwagen. Außerdem hatte ihm das schmerzhafte Taser-Missgeschick vorübergehend die Freude am Wasserlassen verdorben.
Ohne Erfolg schlug er nach ein paar Mücken, die anscheinend eine Vorliebe für sein Haar entwickelt hatten. Minute für unersprießliche Minute verrann das Mysterium Floridas. Verbittert unterzog Shreave seinen grandiosen Traum, mit Eugenie Fonda ein neues Leben anzufangen, einer neuerlichen Beurteilung. Wenn diese Reise ihre derzeitige Abwärtskurve fortsetzte, würde die Dimension seines Scheiterns sämtliche anderen in Shreaves glanzloser Vergangenheit in den Schatten stellen. Wie üblich wies er sowohl die Schuld daran als auch die Verantwortung dafür von sich; ein grausames Schicksal hatte ihn hierher verschlagen – gestrandet auf einer dürftigen Insel, mit einer psychotischen Geschiedenen, einer zunehmend gleichgültigen Freundin und einem halb gegrillten Schwanz.
Eingelullt vom Zischen des erlöschenden Lagerfeuers, war Shreave verblüfft, als seine Gedanken sich Lily zuwandten, daheim in Fort Worth. Seine Sehnsucht war auf charakteristische Weise unsentimental und niederer Natur; die Erinnerung, die ihn in Wallung versetzte, war die an seine Frau, die Erbin, in diesem roten Stringtanga, wie sie sich auf dem Wohnzimmersofa auf seinem Schoß gewunden hatte. Shreave bereute es, dieses außergewöhnliche Zwischenspiel nicht ausgenutzt zu haben, denn Lily -der mittlerweile klar sein musste, dass er die Fliege gemacht hatte – war für ihn für alle Zeit verloren.
Er wäre schockiert gewesen, hätte er gewusst, dass er nicht der einzige Mann auf Dismal Key war, der an sie dachte.
Der Indianer war davongeschlichen und hatte es der jungen Frau namens Gillian überlassen, auf Dealey aufzupassen. Der Detektiv wusste, dass er in Schwierigkeiten steckte, als sie sagte: »Ich glaube, ich würde ’ne gute Wetterberichterstatterin abgeben – man sagt ja nicht mehr Wettermann, jetzt heißen die ›Wetterberichterstatter‹. Das mit den Hurrikanen und Tornados können Sie vergessen, aber ich würde echt gern die Wintersportvorhersage machen. Waren Sie je in Aspen?«
Dealey schüttelte den Kopf.
»Ich auch nicht. Park City?«
»Ich muss wirklich schlafen«, sagte Dealey.
»Los, wir machen eine Demo-Aufnahme.«
Anfangs weigerte Dealey sich, doch dann stupste das Mädchen ihm die abgesägte Schrotflinte in den Bauch, eine Waffe, mit der es eindeutig und beängstigend nicht vertraut war. Also holte er die Videokamera hervor und filmte sie dabei, wie sie mit der Flinte in der Hand so tat, als spräche sie einen Fernsehwetterbericht. Als er ihr die Aufnahme vorspielte, meinte sie: »Großer Gott, mein Haar ist ’ne Katastrophe. Haben Sie vielleicht ’ne Spülung dabei?«
»Oh, klar. Und Badesalz mit Rosenduft.«
»Vielleicht sattele ich um auf Kommunikationswissenschaft«, überlegte Gillian. »Ich sehe mich einfach nicht in einem Klassenzimmer voller Drittklässler.«
»Ist schwer vorstellbar«, stimmte Dealey zu.
»Oder vielleicht gehe ich auch gar nicht mehr aufs College
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