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Suna

Suna

Titel: Suna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ziefle Pia
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Wind und den Donner.
    »Biljana!«, schrie er wieder und stieg die Böschung hin­ab.
    Er setzte einen Fuß in das Wasser und spürte augenblicklich, wie die Strömung ihn mitnehmen wollte, eine Kraft war darin, die man mit den Augen nicht erkennen konnte. Er musste kämpfen, um nicht mitgerissen zu werden, dabei konnte es allerhöchstens knietief sein. Mühsam hielt er sich auf den Beinen und krallte seine Finger in das glitschige Gras. Wasser rann ihm in die Augen, stand in seinen Schuhen, prasselte auf seine Schultern, gurgelte bedrohlich hinter ihm.
    Er kämpfte sich die Böschung wieder hinauf und versuchte, in der Dunkelheit die Stelle wiederzufinden, an der er Biljana gesehen hatte. Zu ihr hinauszugelangen war unmöglich. Das Wasser stieg, sogar mit bloßem Auge konnte Ilija das erkennen. Der Boden unter ihm war durchweicht, bei jedem seiner Schritte sank er ein. Überall, wo er gegangen war, hinterließ er kleine Pfützen.
    Er erreichte die Landstraße und eilte weiter, um eine ­andere Stelle zu finden, an der er hineinsteigen konnte, um seine Frau zu retten. Er suchte die Wasseroberfläche ab, er rief Biljanas Namen – vergeblich. Nachdem er hundert Meter weit gekommen war, musste er aufgeben. Ein Mar­kierungs­stein war alles, was flussabwärts von der Straße übrig geblieben war.
    Da erkannte Ilija, dass er zu spät gekommen war.
    Bei Biljanas Beerdigung war es ganz still in der Kirche. Niemand sprach, keiner flüsterte, sogar die Kinder saßen regungslos in ihren Bänken. Biljanas Sarg stand verschlossen am Altar.
    Noch nie war jemand im Dorf so gestorben, allein auf dem Feld, vom Blitz erschlagen und vom Hochwasser drei Kilometer weit davongetragen.
    In den ersten Tagen nach der Beerdigung hielt sich stets eine der Nachbarinnen stumm im Trauerhaus auf. Alle hatten Angst, dass Ilija sich etwas antun könnte und die Kinder alleine zurückblieben. Ilija saß eine geschlagene Woche neben dem Feuer, den Kopf in den Händen vergraben, und weinte.
    »Sieben Tage und sieben Nächte«, sagten die Frauen, nicht wenige bekreuzigten sich dabei.
    Am achten Tag stand Ilija auf, machte ein paar unsichere Schritte hin zum Regal, betrachtete das Brot, das dort lag, den Schinken und den Käse. Dann griff er zur Wasserkanne und trank sie in einem Zug leer. Er wischte sich das Gesicht mit einem Tuch ab, ließ seinen Blick einmal durch den Raum schweifen, sah die angstvollen Gesichter der Nachbarinnen und ging hinaus. In den Stall, wo seine Flasche war.
    Mit Dragans Hilfe kam Ilijas Ältester Marek rasch mit dem Hof zurecht, Milo steckte ihm ab und zu Geld in die Tasche, und Julkas Schulbesuch wurde verschoben. Edita dachte im Stillen, es könnte besser sein, wenn sich das Kind die Flausen aus dem Kopf schlug und lieber auf dem Hof bliebe. »Genügend Dummheit muss man haben dafür«, dachte sie, »zu viel Bildung schadet nur.«
    Eines Abends brachte Edita Dragan sein Geld zurück.
    »Ich will es nicht«, sagte sie.
    »Entscheidest du das jetzt?«, fragte Dragan.
    »Glaubst du, es wäre gut für das Kind, herausgerissen zu werden, jetzt, wo die Mutter tot ist und der Vater ein Säufer?«
    »Glaubst du, es ist gut für das Kind, wenn es hierbleibt? In einem Dorf voller verbitterter alter Männer? Denen jetzt, wo sie auch nachmittags auf der Bank sitzen können, ihre Mordtaten wieder einfallen aus dem Krieg? Die sich an alte Grenzlinien erinnern und daran, dass der Nachbar seit vierzig Jahren eigentlich ein Kroate ist oder ein Moslem?«
    Edita schwieg.
    »Wenn du mich fragst, Edita, dann sorgst du dafür, dass das Kind wenigstens in die Stadt kommt und einen Beruf lernt. Schick sie meinetwegen nicht auf die Schule, auch gut. Aber lass sie etwas lernen, das sie brauchen kann. Und denk ruhig über die Grenzen von Jugoslawien hinaus.«
    Als er »Jugoslawien« sagte, verzog er das Gesicht, als hätte er in eine tote Maus beißen müssen.
    Edita schwieg noch immer.
    »Ilija wird nicht einverstanden sein«, sagte sie.
    »Dann frag ihn nicht. Schaff Tatsachen. Bereite dein Haus vor. Bessert es sich mit ihm, dann hast du wenigstens renoviert. Bleibt es, wie es ist, kommst du und holst die beiden.«
    Bald erinnerte sich niemand im Dorf mehr daran, wie Ilija früher gewesen war. Der Ilija, den sie jetzt sahen, war betrunken oder jähzornig oder beides. Statt zu arbeiten, fuhr er stundenlang mit dem Moped umher, statt Julka zur Schule zu schicken, tankte er von Dragans Geld (solange es noch im Haus war).
    Tag und Nacht knatterte er

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