SunQuest - die Komplettausgabe 2800 Seiten zum Sonderpreis: Dies Cygni und Quinterna (German Edition)
eine Frau in tiefroten Gewändern führten auf der anderen Seite einen Mann aus den Schatten bis dicht an den Rand der Spalte. Der Prüfling trug einen mehrfach um seine Lenden geschlungenen schwarzen Stoffstreifen und hielt zwei Dolche in seinen Händen. Aventars Körper wies Foltermale auf; offensichtlich war man bei seiner Befragung nicht zimperlich vorgegangen, doch es war nichts im Vergleich zu dem, was den übrigen Kriggets zugestoßen war.
Seiya unterdrückte die Schreckensbilder und wandte ihre Aufmerksamkeit Aliandur zu, der bis zum Rand der Spalte ging, die Klauen in Aventars Richtung ausstreckte und sagte: »Prüfling, der du ein Kind Durs sein willst, wie wir es sind: Tritt in unsere Mitte.«
Ohne zu zögern trat Aventar vor, auf die Spalte zu, und machte keinerlei Anstalten, an ihrem Rand stehenzubleiben. Unwillkürlich spannte sich Seiya an. Sie sah, wie Aventars Fuß über der Spalte schwebte, und als er ihn senkte … fiel er nicht.
Beleuchtet vom unheilvoll schimmernden Licht aus der Tiefe ging Aventar über die Spalte hinweg, als sei an ihrer Stelle fester Boden. Und als Seiya ihren Blick von ihm ab und zu den beiden Sektierern hinter ihm wandte, wusste sie auch, warum. Mit angespannten Mienen und in Richtung der Spalte ausgestreckten Händen standen sie da, während ihnen der Schweiß nur so über die Gesichter rann.
Beim vorletzten Schritt taumelte die Frau plötzlich, und Aventar verspannte sich, als sein Fuß tiefer sank. Doch mit dem nächsten Schritt stand er bereits wieder auf festem Boden. Er ging weiter, bis ihn nur noch ein Schritt von Aliandur trennte, überkreuzte dann die Arme vor seinem schweißnassen Körper und neigte den Kopf. Der Verkünder trat auf ihn zu und legte eine Kralle an seine Stirn.
»Du hast den Weg zu uns gefunden. Was beweist diese Prüfung?«
»Dass ich blindes Vertrauen habe in meine Brüder und Schwestern. Sie werden mich nicht fallen lassen, solange kein berechtigter Zweifel an meinem Glauben besteht oder Dur selbst mein Leben für seine Zwecke fordert. So kann mich mein Glaube auch über die tiefsten Abgründe tragen.«
Aliandur nickte und trat zurück, bis er wieder Teil des Halbkreises geworden war. Auf einen Wink von ihm zogen vier Männer vor Aventar zwei längliche Felsplatten zur Seite, die zuvor nicht vom Boden unterscheidbar eingelassen gewesen waren. Unter ihnen wurde ein rotes Glühen enthüllt, wie es aus der Spalte drang. Genaueres Hinsehen verriet Seiya jedoch, dass es lediglich glühende Kohlen waren, kein Magma. Dennoch nahm die Hitze am Schluchtgrund noch einmal zu, und die junge Frau wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Du hast den ersten Schritt getan. Jetzt vollende den Weg«, befahl Aliandur.
Aventar senkte die Arme wieder und fixierte den bestimmt zehn Meter langen Streifen glühender Kohlen zwischen ihm und dem Verkünder. Es schien Seiya, als würden seine Lippen sich bewegen, wie in einem Gebet. Er hob den Kopf, bis sein Blick auf Aliandur traf. Erst dann kam Bewegung in ihn.
Seiya hatte das Gefühl, die Hitze würde ihre eigenen Füße heraufkriechen, während sie beobachtete, wie der Söldner über die Glut schritt, als sei sie nichts anderes als ein zu seiner Begrüßung ausgerollter roter Teppich. Sie fragte sich, ob er dieses Mal ebenfalls geschützt wurde. Als der Geruch verbrannter Haut an ihre Nase drang, wusste sie mit Sicherheit, dass dem nicht so war.
Doch der Blick des Söldners blieb unverwandt auf Aliandur gerichtet, wenn er auch glasig wirkte, und er zuckte lediglich in dem Moment zusammen, als seine Füße unvermittelt wieder den kalten Felsboden berührten. Dort blieb er stehen und atmete mehrmals tief durch, ehe er erneut den Kopf senkte und die Arme überkreuz legte.
»Und was lehrt uns dieser Teil des Weges?«, schnurrte Aliandur in deutlicher Zufriedenheit. Seine Nüstern waren geweitet, als genieße er den Geruch röstender Haut. Hinter Aventar wurde die Glutbahn wieder abgedeckt.
»Dass der Glaube uns alles ertragen lässt und uns Stärke über das normale Maß hinaus gibt. Der Wille eines wahren Dieners des Verkünders ist unbezwingbar.«
»Gut, gut. Deine Worte höre ich mit Wohlgefallen. Auch wenn sie nicht ganz dem Buch entsprechen, zeugen sie von dem richtigen Verständnis.«
»Ich hatte drei Jahre lang nicht die Möglichkeit, die richtigen Worte in meinem Gedächtnis aufzufrischen.«
»Deine Geschichte scheint der Wahrheit zu entsprechen. Aber warten wir die letzte Prüfung ab, die der
Weitere Kostenlose Bücher