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Wirbelwolke aus der Dunkelheit hervor: Der Entôum!
Carlim hielt ihm den Ring entgegen wie eine Waffe. »Ich befehle dir!«, schrie er. »Folge mir in dein Grab zurück!«
Das rauschende Glitzern zog sich über Carlim zusammen, als habe der Entôum seinen Meister nicht gehört. Der versuchte es noch einmal, aber seine Stimme klang jetzt, als hätte sie einen Sprung bekommen. Und der Entôum kam ihm näher. Das Splitterrasseln wurde ein tiefes, bedrohliches Grollen – und dann brach der Sturm aus scharfem Staub auf den Geheimnishüter los.
Carlims Schmerzensschreie drangen durch das Brausen, da erklang eine weitere Stimme.
»Halt!«
Der Splittersturm erstarrte augenblicklich, und ebenso alle Zeugen des Schauspiels, selbst Paxedis war sprachlos. Aus der Dunkelheit des Labyrinthes löste sich eine schmale Silhouette und trat ins Licht hinaus.
»Gib Carlim sofort frei!«
Der Entôum gehorchte und verharrte, kein Blut an seinen tausend Splittern.
Seiya trat auf den Geheimnishüter zu, der mit ausgebranntem Blick auf dem eisernen Boden hockte, die Arme um den Leib geschlungen. An ihrer Hand glühte das Herz des Entôum.
Dem Reif an Carlims Finger wuchsen Flügel, Schuppen: Und dann flatterte Pong, Regenbogen sprühend, von ihm auf.
»Ich bin sofort los, als ich die Schreie dort unten hörte«, rief er schrill. »Und ich habe gesehen, wie du dich über Seiya gebeugt hast, um den Ring an dich zu nehmen. Also musste ich schnell sein. Hast du ernsthaft geglaubt, dass du damit durchkommst, dich als einzig wahren Retter hinzustellen? Und dafür Seiya zu opfern? Ohne mich, du schäbiger Geheimnishüter!«
»Es ist meine Aufgabe«, flüsterte er.
Die Prinzessin blickte auf Carlim nieder: Ihr war schwindlig, an ihrer Schläfe klebte Blut von dem Sturz auf der Eisentreppe. Trotz allem empfand sie keinen Hass, nicht einmal Wut auf diesen Mann. Dazu war sie viel zu erschöpft.
Carlim sagte nichts mehr. Seine Kleidung hing in Fetzen, und sein Gesicht war voller Schnitte: Vermutlich würde er für lange Zeit nichts anderes hören als das Klirren des scharfen Staubs.
Die führerlosen Sektenkrieger waren nicht mehr zu halten, allesamt befanden sie sich jetzt auf der Flucht. Der Hauptmann ließ es zu, dass den Fliehenden nachgesetzt und sie niedergemacht wurden; Thel-Ryon musste seine Rache haben und seine Angst hinaustreiben.
Die Kämpfe dauerten noch bis in die frühen Morgenstunden, dann hatte das Volk genug. Kein Feind war mehr in der Stadt, und draußen befand sich das Heerlager bereits in Auflösung. Die Sekte der Erlöser existierte nicht mehr. Für die Überlebenden begann ein langer Marsch, wohin, wusste keiner von ihnen. Sie hatten ihren Halt und ihre Aufgabe verloren. Vermutlich würden sich einige zusammentun und wieder auf Beutezug gehen, doch mehr als unbedeutende Wegelagerer würden sie nie mehr sein.
Der Entôum ruhte wieder in seiner Urne. Das Wissen um ihn würde mit der Zeit versickern, zu viel war an diesem Tag geschehen, als dass die Wahrheit von einer weiteren Schauergeschichte noch zu unterscheiden gewesen wäre.
Ruhe kehrte dennoch keine in der Stadt ein, denn unverzüglich wurde mit den Aufräumarbeiten begonnen, die Evakuierten kehrten in ihre teils beschädigten Häuser zurück, Barrikaden mussten abgebaut werden und die Zugbrücke zur Burg Hag wieder aufgebaut. Die Überreste der zweiten Brücke wurden auf psimagische Weise abgekühlt.
Um all diese Dinge musste Seiya sich nicht mehr kümmern, sie hatte ihre Aufgabe erfüllt, für den Rest musste der Rat aufkommen. Sie konnte sich auch nicht mehr auf den Beinen halten, dieser Kampf hatte ihr alles abgefordert.
Schon halb im Schlaf zwang sie sich, etwas zu essen und legte sich dann ins Bett. Bis zum Nachmittag schlief sie durch, tief und traumlos. Es gab keinen Grund mehr, Alpträume zu haben.
Nach einem Bad und in neuer Kleidung fühlte sie sich einigermaßen erholt und lauschte dem geschäftigen Treiben in der Stadt unten. Sie hoffte, dass bald ein Schiff von Earl Hag eintreffen würde, um sie endlich nach Burundun zu bringen. Gefahr hin oder her – sie musste jetzt nach Hause, zu ihren Kindern und ihrem Mann. Nichts und niemand würde sie jetzt noch zurückhalten können. In dieser Stadt hatte sie nichts mehr verloren.
Ein dünner Schrei wie reißendes Silber riss sie aus ihren Gedanken: Pong!
Sie fuhr herum.
Ihr kleiner Gefährte krümmte sich auf der Kommode, wo er eben noch seine vorlaute Zunge gewetzt hatte, und schwitzte
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