Super-Brain - angewandte Neurowissenschaften gegen Alzheimer, Depression, Übergewicht und Angst
unterscheidet sie sich von » ansteckenden « Emotionen, bei denen man nicht recht weiß, ob die Emotion von einem selbst ausgeht oder ob sie aus dem Kontakt mit einer stärkeren Persönlichkeit oder mit der Menschenmenge hervorgegangen ist.
Das auf der neuronalen Ebene durch Einfühlungsvermögen primär aktivierte Areal wird als der zinguläre Kortex bezeichnet. Das lateinische Wort cingulum bedeutet » Gürtel « . Wie ein Gürtel liegt der zinguläre Kortex in der Mitte der Großhirnrinde. Er wird als derjenige Teil des limbischen Systems angesehen, der sich mit Emotion, mit Lernen und Erinnern befasst. Dort ist das Einfühlungsvermögen physisch angesiedelt.
Bei Frauen sind die empathiebezogenen Bereiche des zingulären Gyrus größer als bei Männern. Bei schizophrenen Patienten, bei denen die Emotionen oft ein auf tragische Weise isoliertes Eigenleben führen, fallen diese Bereiche generell kleiner aus. Solchen Menschen fehlt die Fähigkeit, die Gefühle ihrer Mitmenschen realistisch zu deuten. Schlimmstenfalls weisen ihre Vorstellungen in Bezug auf die Gefühle anderer wahnhafte Züge auf.
Das menschliche Einfühlungsvermögen ist auch mit den Spiegelneuronen in Zusammenhang gebracht worden, einer nachweislich bei niederen Primaten wie den Affen existierenden Klasse von Nervenzellen. Jener oft grotesk überzeichnenden Form der Nachahmung, die wir nachäffen nennen, kommt hier für das Erlernen neuer Fertigkeiten eine entscheidende Bedeutung zu. Sieht ein Affenbaby oder ein Äffchen, das noch klein genug ist, um von der Affenmutter gestillt zu werden, mit an, wie die Mutter nach Nahrung greift, sie in mundgerechte Stücke zerteilt und verzehrt, dann werden die für diese Aktivitäten zuständigen Bereiche in seinem Gehirn aktiviert– sie spiegeln wider, was das Kleine sieht. Entsprechende Experimente an Menschenkindern durchzuführen, um zu sehen, ob auf unsere Spezies das Gleiche zutrifft, verbietet sich. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach sind diese Spiegelneuronen auch für uns Menschen kennzeichnend. (Die neuronale Spiegelung könnte indes eine Schattenseite haben: Wenn ein Kleinkind negatives Verhalten miterlebt, häusliche Gewalt beispielsweise, könnte dadurch im Gehirn ein Verhaltensmuster vorgeprägt werden. Kinder, die im Elternhaus Formen häuslicher Gewalt miterlebt haben, üben in vielen Fällen später selbst solche Gewalt aus, derart prägend war für sie das mit angesehene Verhalten.)
Kein Mensch vermag zu sagen, wie die Spiegelneuronen im Einzelnen funktionieren. Für die soziale Bindung, jenen Prozess, in dem die uns nahestehenden Menschen uns Sicherheit, Förderung und Linderung unseres Kummers zuteil werden lassen, scheinen sie jedenfalls eine Schlüsselrolle zu spielen. Jede Menge neurochemischer Substanzen, die sogenannten Neuropeptide– kleine, aus der Verknüpfung einiger weniger Aminosäuren entstandene, im Gehirn an der Steuerung sozialer Bindungen beteiligte Eiweißmoleküle wie zum Beispiel Oxytozin, die Opioide und Prolaktin–, regulieren die Fähigkeit, einfühlend auf unser Gegenüber einzugehen.
Oxytozin erleichtert mütterliches Verhalten und bewirkt, dass sich das Gefühl, » verliebt zu sein «, einstellt. Es konnte gezeigt werden, dass Personen, die Oxytozin in Form von Nasenspray anwenden, nicht nur auf soziale Spannungen weniger stark ansprechen, sondern dass allgemein auch ihre Angstreaktionen im Gehirn weniger heftig ausfallen. Außerdem kann Oxytozin das gegenseitige Vertrauen erhöhen und für den Gesichtsausdruck anderer Menschen empfänglicher machen. Eine unerwünschte Genmutation in demjenigen Rezeptor, der Oxytozin bindet, hat ein geringeres Maß an Einfühlungsvermögen zur Folge.
Oxytozin spielt also eine entscheidende Rolle. Dennoch sollte man die Bezeichnung » Liebeshormon « , unter der es in der breiten Öffentlichkeit bekannt ist, nicht für bare Münze nehmen. Als komplexes Verhalten spricht Liebe auf vielfältige Einflussfaktoren im gesamten Gehirn an. Ein einzelnes Hormon sollte man gewiss nicht als ihre Ursache ansehen. Da stehen wir vor der Frage, wo der Geist endet und das Gehirn anfängt. Wer sich jemals besinnungslos verliebt hat, wird bestätigen, dass dies zu einer sehr persönlichen Frage wird. Der Mensch hat im Gehirn zwar eine biologische Struktur entwickelt, die auf die Paarung niederer Säugetiere zurückgeht. Allerdings treffen wir, wenn es darum geht, wen wir lieben und von wem wir uns angezogen fühlen, alle möglichen
Weitere Kostenlose Bücher