Superdaddy: Roman (German Edition)
gerecht aussehen: ein großer weißer Mann und eine kleine schwarze Frau. Es ist aber nicht gerecht. Denn …«
»Mama, ich will gucken!«, maulte Linus.
Sie drückte auf Stopp. Dafür hatten wir einen Festplattenrecorder, der die Sendungen zeitgleich aufnahm: damit sie jederzeit in Ruhe die Kinder agitieren konnte. »Es ist nicht gerecht!«, sagte sie und schaute Linus in die Augen, um ihm klarzumachen, wie wichtig dieser Gedanke wäre. »Denn der große weiße Mann hat die Sendung konzipiert und produziert. Er tritt noch in lauter anderen Sendungen auf, und er schreibt Bücher. Und die kleine schwarze Frau spricht nur die Texte, die er ihr geschrieben hat. Sonst nichts.«
»Echt?«, fragte Lasse. Wohin diese Agitation führte, sah man ja an Lunas Mercedessternsammlung.
»Will noch jemand Möhren?«, kam ich zwischendurch als Vitamin-Missionar dazu. »Oder einen Apfel?«
»Nö, die Chips sind leckerer«, verkündete Lasse. Um acht guckten die drei noch zusammen die Tagesschau, während ich die Küche aufräumte.
»Gabriel. Diese Flachpfeife!«, bemerkte Charlotte, während der Niedersachse ein auswendig gelerntes Statement mit zerknautschtem Gesicht in die Kamera aufsagte.
Charlotte war Überzeugungstäterin. Sie erklärte den Kindern die Rolle Martin Luthers im Bauernkrieg und die Rolle des Fußballs im Kapitalismus, oft bis neun Uhr abends. Oder noch später. Für sie waren Kinder nicht Kinder, die zwölf Stunden Schlaf und Vitamine aus Möhren und Äpfeln brauchten, sondern kleine Erwachsene, mit denen man besonders gut diskutieren konnte. Kindheit, erklärte sie bei Bedarf, war ein bürgerliches Konstrukt aus dem 19. Jahrhundert. Und die drei konnten tatsächlich besonders gut diskutieren. Wenn Linus allerdings Angst vor der Sachkundearbeit hatte, weil er das Lernen wieder bis zum letzten Moment vor sich hergeschoben hatte, kam er zu mir und saß heulend auf meinem Schoß, so gar kein bürgerliches Konstrukt. Und weil Charlotte mit den Kleinen bis halb zehn redete, kuschelte, tobte und sang, schliefen sie viel zu spät ein und lagen morgens wie tot im Bett. Und ich durfte das ausbaden, wie jetzt gerade, während sie noch selig schlummerte. Punkt zehn für unsere Paartherapie.
Fünf nach sieben kam Linus in die Küche, setzte sich vor seinen Teller Grießbrei und sprach darüber, was er sich von wem zu Weihnachten wünschte. Wir hatten zwar erst März, aber Linus hatte gestern vorm Einschlafen wieder eine Stunde im neuen Lego-Katalog gelesen, genau genommen das Einzige, was er überhaupt las.
»Linus, iss bitte!«, sagte ich alle zwei Minuten.
Aber Linus dozierte über die neue Kampfflugzeugserie von Lego Star Wars und die Figurenpolitik der dänischen Zentrale: welcher Yedi-Kämpfer bei welchem Kampfjet dabei war. Er hatte keinerlei Interesse zu essen. War er wach, begann er zu reden, bis er einschlief. Über Lego Star Wars . Als George Lucas als schmächtiger Filmstudent Anfang der 70er Jahre seine Saga entwarf – ahnte er da wohl, dass Darth Vader, sein böser, asthmatischer Held, vierzig Jahre später als vier Zentimeter hohe Plastikfigur mit vier runden Knubbeln an den Füßen enden würde, die man auf alle anderen Legosteine draufpappen konnte?
Zehn nach sieben kam Lasse Schritt für Schritt den Flur entlang getrippelt. Er hatte Augenringe, als hätte er bis drei Uhr nachts Karlsson vom Dach gelesen, und wahrscheinlich hatte er genau das getan. Er gähnte und wischte sich den Schlaf aus den Augen. Dann setzte er sich grußlos, hustete sich den Schleim aus der Lunge und begann, den Grießbrei zu essen, als wäre dies eine buddhistische Achtsamkeitsübung: Nimm den Löffel in die Hand. Betrachte ihn. Betrachte den Brei. Tunke den Löffel in den Brei. Betrachte den Brei, den du auf den Löffel geladen hast. Führe ihn langsam zum Mund. Bemerke, an welcher Stelle du beginnst, den Brei auf dem Löffel zu riechen. Lass den Löffel an dieser Stelle in der Luft stehen und rieche die Mischung aus Zimt, Zucker, Milch und Weizen. Öffne den Mund leicht, bevor du den Löffel an ihn heranführst. Spüre, wie der Brei deine Lippen berührt, in deinen Mund übergeht und dort eine Geschmacksexplosion auslöst.
Es war sicherlich gut, so zu essen. Aber nach zwei Löffelportionen war es bereits Viertel nach sieben, der Moment, in dem Luna endlich in die Küche getrampelt kam. Lasse war zart, er war kränklich, er musste essen. Bei seinem Tempo hätte er aber bereits um fünf Uhr morgens beginnen müssen, um den
Weitere Kostenlose Bücher