Superdaddy: Roman (German Edition)
sie rasselte. Nicht gerade eine sonor-suggestive Therapeutinnenstimme. Nichts hier war so, wie ich es mir vorgestellt hatte. War eine Paartherapeutin nicht vollbusig und rothaarig? Hatte sie nicht ihre Eimsbütteler Praxisräume selbst bemalt, orange Wischtechnik mit tibetanischen Schriftzeichen, im Bücherregal Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück , auf dem goldbraunen Pitch-Pine-Parkett ein Ikea-Schreibtisch, darauf ein Foto der beiden Töchter im Kita-Alter? Dietlinde Katzenhubers Praxis war das genaue Gegenteil: weiße Spitzengardinen. Teppich in undefinierbarem Graubraun. Ein antiquarischer Mahagoni-Schreibtisch. Und darauf ein grauer, tief ausgebauchter Bildschirm, den vermutlich noch Konrad Zuse persönlich hergestellt hatte. Und dann diese Stille. Als ob das ganze Haus tot wäre. Und das ganze Viertel. Gedehnte Stille, durchschnitten nur vom tiefen Ticken der Teakholzwanduhr.
»Ich habe Psychologie in Berlin und Boston studiert …«
Immerhin, das hätte Charlottes Herz öffnen können. Wäre da nicht die Uhr gewesen. Menschen, die tickende Uhren benutzten, waren empfindungslose Ohrenbanausen, darin waren wir uns ausnahmsweise einig. So hatten wir uns kennengelernt vor sechzehn Jahren: Charlotte stand frühmorgens auf einem kippeligen Stuhl im noch leeren Lesesaal der sozialwissenschaftlichen Bibliothek, nahm die Uhr von der Wand und pfriemelte den rückwärtigen Verschlussdeckel ab. Sie hatte mich nicht kommen hören. Ich beobachtete sie, näherte mich lautlos, und in dem Moment, als sie die Batterien herausnahm, polterte ich in Polizistenmanier: »WAS machen Sie da?« Charlotte verlor vor Schreck das Gleichgewicht und fiel, aber ich hielt sie fest, meine Hände an ihren Hüften. Das war das Erste, was sie von mir spürte: ein guter Auftakt. Hätte ich immer so stark sein können. Frauen lieben nicht, was sie hören und sehen, sondern was sie fühlen. Mich hatte das Ticken auch genervt, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, die Batterien zu entfernen. Das war Charlotte. Das liebte ich an ihr, dagegen war ich wehrlos, darin ging ich unter. Wenn ich nicht richtig tickte, nahm sie meine Batterien raus.
»… dann eine Ausbildung zur systemischen Paartherapie nach Hellinger in Tübingen, später noch Fortbildungen in Hypnotherapie, Gestalttherapie, EMDR, NLP …«
Diese Fortbildungen kannte ich schon aus meiner Internetrecherche. Ein Diplom in Psychologie reichte keinem der gefühlt zweitausend Anbieter. Auch nicht die Ausbildung zum Paartherapeuten. Immer kam jährlich etwas dazu: Transzendentale Meditation, Beziehungssynthese, gestaltendes Malen, integratives Psychodrama, analytische Tiefenatmung. Demnächst noch biospirituelles Bionadetrinken und freikörperorientiertes Nacktputzen. Es gab sogar Lachtherapie . Wie tröstlich: Wenn ich als Comedian scheiterte, konnte ich immer noch für hundert Euro die Stunde auf Krankenschein depressive Managerfrauen zum Lachen bringen. Treffen sich zwei Jäger. Beide tot. Ungeschlagen war für mich aber die klientenzentrierte Beratung . Klientenzentriert. Im Gegensatz zu was: Geldzentriert? Vaginazentriert?
»Und der Modus ist mir auch nicht ganz klar«, sagte Charlotte, nachdem Frau Katzenhuber ihre zehn Zusatzausbildungen aufgezählt hatte. »Ist das eine Probestunde heute?«
Für Charlotte auf jeden Fall. Sie testete die Therapeutin. Und ich hatte mehrere Nächte im Netz verbracht, um jemanden ausfindig zu machen, den Charlotte ernst nehmen würde, dem sie zuhören, dem sie sich vielleicht sogar anvertrauen konnte. Aber das war in etwa so einfach, wie in Downtown Manhattan im August ein kakerlakenfreies Hotelzimmer für dreißig Dollar zu bekommen. Denn die Therapeuten sahen auf ihren eigenen Seiten aus wie Heiratsschwindler. Und die Therapeutinnen wie übergewichtige Töpferkurs-Teilnehmerinnen. Oft prangte auf der Startseite das Foto eines glücklichen Paares: ein gefönter Mittvierziger, vermutlich Arzt, hielt eine makellos schöne gleichaltrige Frau fest im Arm, beide im legeren Feierabendlook, über ihnen eine Baumkrone, die Sonne blinkte zuversichtlich durch die Wolken – das Lebensziel der Brigitte-Woman -Leserin. Von Parship direkt zur Paartherapie. Dietlinde Katzenhuber galt als Hamburgs beste Paartherapeutin. Sie hatte keine Internetseite nötig und nur noch Termine morgens um halb neun frei. Mein Soziologenfreund Dirk hatte sie mir empfohlen, angeblich war er selbst hier gewesen, mit seiner Exfrau. Ich sah Frau Katzenhuber an und fragte
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