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Superdaddy: Roman (German Edition)

Superdaddy: Roman (German Edition)

Titel: Superdaddy: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sören Sieg
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der Wiederholung. Ich hätte es mir denken können: Charlotte war therapieresistent. Und ich konnte sie sogar verstehen. Denn wir wussten nichts über Dietlinde Katzenhuber. Nicht, welche Partei sie wählte, ob sie guten Sex hatte oder ob sie Jürgen Habermas von Niklas Luhmann unterscheiden konnte. Nur ihr bayerischer Akzent und ihr Name verrieten mir etwas über sie: dass sie nämlich vermutlich vor dreißig Jahren ihre Heimat im Allgäu verlassen hatte und seitdem unter der protestantischen Engherzigkeit des Nordens litt und die Weißwurstfröhlichkeit ihrer Heimat vermisste. Frau Katzenhuber schnäuzte sich in ein Stofftaschentuch und sah Charlotte an wie ein Insektenforscher einen ungewöhnlichen Käfer.
    »Haben Sie Angst, sich in diesen Max zu verlieben?«
    Charlotte schlug sich die Hände vors Gesicht. Ich wusste, was sie jetzt dachte. Ich bin eine Intellektuelle, holt mich hier raus.
    »Nein!« Sie schleuderte die Arme in die Luft. »Und JA! Ich nehme alles auf mich und gebe alles zu. ICH bin an allem schuld!«
    Frau Katzenhuber nahm einen Schluck Selter. Wahrscheinlich ernährte sie sich nur von Wasser, Wurzeln und Knollen. Aber sie war dabei cooler als Clint Eastwood.
    »Wir werden jetzt eine Übung machen. Sie wird Ihnen befremdlich vorkommen. Aber sie ist sehr heilsam. Deshalb brauche ich dafür Ihre volle Liebe und Hingabe.«
    Charlottes verschränkte Arme verrieten mir, dass sie in etwa so viel Lust darauf hatte wie ein Fußballprofi auf eine Lyriklesung.
    »Bitte setzen Sie sich jetzt auf diesem Teppich einander gegenüber.«
    »Wie bitte?«
    Charlotte machte ein Gesicht, als sei sie gerade aufgefordert worden, sich nackt auf ein Wildschwein zu setzen.
    »Im Schneidersitz oder im Yogasitz, wie Sie möchten.«
    Ich wählte den Schneidersitz. Charlotte saß noch unschlüssig auf ihrem beigen Sessel.
    »Die Übung stammt aus dem Hinduismus. Sie werden sich jetzt abwechselnd in Zeitlupe Millimeter für Millimeter voreinander verneigen, bis ihr Kopf den Boden berührt.«

8
    Es gibt Augenblicke im Leben, in denen die Zeit langsamer wird, in denen sie stehenbleibt und schließlich ganz verschwindet. Man tritt aus dem Moment heraus, nimmt das Gesehene in sich auf und prägt es sich ein, um es bei sich zu tragen für immer, bis zum Ende. Es sind seltene Augenblicke – vielleicht zehn in einem ganzen Leben. Jene Nacht, als ich sechzehn war und meine erste Liebe vor mir lag, nackt und hingegeben, und ich ihren Schoß küsste, zum ersten Mal. Das Charles-Mingus-Konzert in der Fabrik in Altona, als Charlotte mich gegen den Holzbalken auf der zweiten Galerie drückte und mich zum ersten Mal küsste, unendlich langsam und lange. Der schwarze Weststrand von Lanzarote, Charlotte und ich sahen die haushohen Wellen auf uns zurollen, der Sand zog uns mit Gewalt ins Meer, wir hielten uns gegenseitig fest, stemmten uns in den wegfließenden Sand, um nicht in den Atlantik abzutreiben, und lachten und schrien und schrien und lachten. Das Gesicht der Hebamme, das sich schlagartig veränderte, weil sie etwas sah, was sich den Weg nach draußen gebahnt hatte, den glibbrigen, nassen, schwarzbehaarten Kopf unseres ersten Kindes, der verschleimte Körper flutschte hinterher, die Hebamme legte ihn auf Charlottes Bauch, wir sahen, dass es ein Mädchen war, und wir wussten, sie würde Luna heißen. Und der Moment eben gerade, als Charlotte sich in buddhistischer Anmut, die Augen geschlossen, die Hände vor der Brust flach aneinandergelegt, in achtsamer Langsamkeit vor mir verneigte, immer tiefer, und mir damit sagte: Das, Philipp, hast du verdient, schon so lange verdient, auch ohne darum betteln zu müssen. Für deine Stärke und Langmut, für deine Leidenschaft und Geduld, mit der du diese Familie trägst. Ihre noch immer nassen Haare fielen herab und berührten den Teppich. Ich sah die perfekte Linie ihres Rückens, ihrer Hüfte, ihres Pos, und es war nicht die Verneigung einer Dienerin, sondern das Bekenntnis einer erwachsenen Frau, meiner Frau. Und ich verstand zum ersten Mal, was das Wort Transzendenz bedeutet: herausgehen und hinübergehen. Heraus aus diesem niedrigen, ungelüfteten Raum, hinüber in eine Sphäre, die nur uns gehörte, in der nur wir existierten, Charlotte und ich. Wie die Göttin der Liebe sah sie aus, wie sie sich so vor mir verneigte bis zum Boden und dort verharrte, als habe sie dort etwas gefunden oder begriffen. Und als wolle sie mir damit etwas geben oder begreiflich machen. Und ebenso langsam erhob

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