Superdaddy: Roman (German Edition)
Bewohner kannten sich nur aus dem Fernsehen. Und wir wollten zusammen leben? Nein, Charlotte konnte das nicht wegpusten wie einen Staubfussel. Dazu hatte sie kein Recht.
»Weißt du was?«, sagte sie fröhlich, als sie ihr Hollandrad in das Fahrradhaus vor unserer Tür schob. »Jetzt frieren wir noch. Und glauben, dass es immer kalt sein wird.« Sie machte mir Platz, damit ich mein Rad auch hineinschieben konnte. »Aber in spätestens drei Wochen wird es brütend heiß sein, und wir werden uns die Klamotten vom Leib reißen und in den Isekanal springen!«
Eine merkwürdige Art, mich aufzumuntern. Der Hinweis darauf, dass der Hamburger Sommer zwischen dem 24. April und dem 6. Mai stattfand. Das stimmte zwar, aber es munterte mich nicht auf. Ich konnte mich nur selbst aufmuntern, indem ich von mir sprach und davon, was ich brauchte.
»Charlotte?« Ich ging ganz nah zu ihr und nahm ihr Gesicht in meine Hände.
»Ja, meine schmutzige Phantasie?« Sie grinste. Sie rechnete nicht mehr damit.
»Ich möchte, dass wir nächste Woche wieder da hingehen.«
Sie hielt inne, atmete hörbar und heftig aus und schlang die Arme um meinen Hals. »Was muss ich tun?«, hauchte sie.
»Hä?«
»Was muss ich tun, damit du NIE NIE wieder mit diesem Schwachsinn anfängst?«
Ich begann zu reden, aber sie legte mir die Hand auf den Mund.
»Ich tue ALLES«, flüsterte sie. »Ich bin deine Gefangene, dein Au-pair-Mädchen, deine Krankenschwester. Wir können auch mal so ein versautes Rollenspiel machen. Also, was verlangst du?«
Es hatte keinen Sinn. Sie war untherapierbar. Zu verrückt, zu intelligent, zu stur. So war sie. Sie glaubte nicht an weise Frauen, Magie und ineinander verschlungene Finger. Sondern an Max Weber und Niklas Luhmann. An überprüfbare Beobachtungen und Beweise. Und wenn ich ehrlich war, hatte ich das von Anfang an gewusst, all die sechzehn Jahre lang. Dafür würde ich mir eine andere Frau suchen müssen. Aber das wollte ich ja gar nicht. Ich wollte genau diese verrückte Rapunzel mit der asymmetrischen schwarzen Brille, von der ersten Sekunde an. Aber immerhin hatte ich durch ihr Angebot die Chance, mich in einer Frage durchzusetzen, in der ich mich sonst nie durchgesetzt hätte.
»Was ich verlange?«
Ich flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ihr Gesicht versteinerte.
Den gesamten Vormittag über sprachen wir kein Wort mehr miteinander. Charlotte aus Trotz. Und ich dachte nach. In einem hatte Charlotte recht gehabt. Und es war schmerzhaft, das eingestehen zu müssen. Ich musste endlich aufhören zu jammern.
9
Es klingelte an der Tür. Das musste er sein. Der Täter kehrte immer zum Tatort zurück.
»Gehst du?«, rief Charlotte aus dem Wohnzimmer, wo sie sich die Nachrichten im Fernsehen anschaute.
»Ja-a!«, rief ich in Kukucks-Terz zurück.
Im selben Moment erklang Yellow Submarine . Ich musste den Klingelton ändern, diese unverbrauchte Fröhlichkeit erschreckte mich jedes Mal zu Tode. Ines stand auf dem Display.
»Hallo, meine Super-Agentin!«, begrüßte ich sie fröhlich. Ich war Künstler auf Bewährung. In einer Woche wollte sie das Konzept für meine neue Show. Einen absoluten Burner. Meine letzte Chance.
»Philipp, ich mach’s kurz. Nächste Woche klappt nicht. Wir ziehen es vor. Kannst du morgen um vier?«
Es klingelte wieder an der Tür.
»Philiiipp«, schrie Charlotte. »GEHST DU?«
Statt selber zu öffnen. Aber mir war jetzt Ines wichtiger. Ich verschwand auf dem Klo.
»Ja, äh, an sich schon, aber, äh … wieso morgen?«
»Das ist der einzige Termin in vier Wochen, an dem ich Zeit habe.«
»Ach so.« Etwas Intelligenteres fiel mir nicht ein.
»Und du sagtest doch, du hast das Konzept längst fertig.«
»PHILIIIPP??«, brüllte Charlotte.
»Klaro, klärchen«, säuselte ich ins Handy. Eine glatte Lüge. Aber was blieb mir übrig? Max musste heute Abend die zündende Idee haben. Sonst konnte ich von der Köhlbrandbrücke springen. Oder Altenpfleger werden. Die wurden immer gesucht.
Es klingelte zum dritten Mal.
»LIIINUS«, brüllte Charlotte. »MACH DU AUF!«
»Also gut, morgen um vier«, sagte Ines. Es klang wie eine Drohung. Oder als ob sie mir nicht glaubte. Ich nahm es ihr nicht übel, ich glaubte mir ja selber nicht. In diesem Moment hörte ich ein Trampeln wie von einem Kamel durch unseren langen Flur.
»Bis dann«, flötete ich, legte auf und sah, aus dem Klo kommend, wie Linus die Haustür aufriss, als wartete dahinter der Lottobriefträger, und seinen japanischen
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