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Superdaddy: Roman (German Edition)

Superdaddy: Roman (German Edition)

Titel: Superdaddy: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sören Sieg
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sie sich wieder und kehrte in die Wirklichkeit zurück, aber von Grund auf verändert. Die elementare Kraft dieser Geste hatte Charlotte erschüttert wie ein Sturm das Meer, sie wirkte verstört, und sie tat, was sie sonst nie tat: Sie schwieg. Frau Katzenhuber forderte auch keine Erklärung. Sie ließ uns in Stille verharren, ehe sie die Stunde schloss und uns hinausgeleitete. Wir kauften noch ihr Buch, Übung der Liebe, und Charlotte gab ihr zum Abschied die Hand, mit einem etwas hilflosen, aber sehr sanften Lächeln. Gemeinsam gingen wir den Weg zum Zaun, wo unsere Räder angeschlossen waren, und dort nahm ich Charlotte und drückte sie an mich. Sie verbiss sich mit ihren Zähnen in meinen Hemdkragen.
    »Hey, ist ja gut«, tröstete ich sie.
    »AAAAAAARGH«, schrie sie in den Stoff. »HILFE!«
    »Charlie?«
    » Keine Sekunde länger hätte ich das ausgehalten.« Sie fing wie verrückt an zu lachen, krallte ihre Fingernägel in meine Oberarme, krümmte sich, schüttete sich aus. »Das innere Kind«, japste sie. »KONTAKT aufnehmen!!! Verneigen! Fehlte nur noch Bauchtanz mit Schlangenbeschwörung!« Sie machte sich los und imitierte pantomimisch und akustisch einen Flötenspieler.
    »Und das für hundertfünfzig Euro!!! Dreißig Flaschen Alnatura-Merlot. Und wir müssen ihr noch ihr selbstgedrucktes Buch abkaufen wie auf dem Flohmarkt.«
    Mein Gesicht fror ein. »Du … du hast überhaupt nichts empfunden?«
    »Doch. Dass der Hinduismus eine Sklavenreligion ist. Von Sklaven für Sklaven. Gut, das Christentum auch. Aber …«
    »Das war alles?«
    »Nein.« Sie sah mich verschwörerisch an. »Ich habe auch daran gedacht, woran DU wohl gedacht hast.«
    »Woran denn?«
    Sie schielte vor Genervtheit. »Philipp, wie du mir auf den Arsch gestarrt hast … Du wolltest mich von hinten nehmen, was sonst? Und genau das hätte ich eben auch gebraucht.«
    Plötzlich sah und hörte ich das Zeichen vor mir, das auf dem Bildschirm erschien, wenn bei Wetten, dass..? jemand seine Wette vergeigt hatte.
    »Und jetzt sag mir eins.« Ihre grünen Augen verengten sich zu bedrohlichen Schlitzen. »Wo hast du diese Schnepfe ausgegraben? Sag mir das. Wo hast du die her?« Sie trommelte mit den Fäusten auf meine Brust.
    »Soziologendirk.«
    »Der war auch hier, ja? Und? Was kam dabei raus?«
    Ich seufzte. »Sie haben sich getrennt.«
    Charlotte schrie auf und schnappte nach Luft. »Das erfahre ich jetzt? Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich niemals mitgekommen! Wieso hast du mir das nicht vorher gesagt?«
    »Weil du dann nicht mitgekommen wärst.«
    Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Vormodernes Denken in der Postmoderne. Das wird mein nächstes Forschungsthema. Nie wieder Faschismus, nie wieder Paartherapie! O Philipp, bloß weg hier.«
    Sie kramte ihren Schlüsselbund aus ihrer Handtasche und schloss ihr Fahrradschloss auf. Es war so massiv und schwer, dass man damit auch eine Hells-Angels-Harley auf einem Bandido-Treffen hätte sichern können. So unknackbar wie das Schloss vor ihrer Seele.
    Wir fuhren heim und rollten durch die Pfützen, es hatte aufgehört zu regnen. Es war April, es war saukalt, ich war gerade neununddreißig geworden, und mein Leben war ein Trümmerhaufen. In all den unentwirrbaren Streitigkeiten unserer Beziehung hatte ich immer auf diese kleine flackernde Kerze gehofft, die uns aus dem Labyrinth führen würde. Eines Tages, hatte ich mir nach jeder qualvoll durchdiskutierten Nacht gesagt, eines Tages würde ich sie überredet haben mitzukommen, zu einer weisen Frau, die beide Arme heben würde in einer großen Geste. Ihre linke Hand würde sie auf mein Haupt legen und die rechte auf Charlottes. Ihre Energie würde uns durchströmen, bis wir beide von selbst unsere Hände erhöben und zueinanderführten und ineinanderlegten. Eine zweite Hochzeit, eine zweite Vermählung, ineinander verschlungene Finger: Das hatte ich mir gewünscht. Mit Hilfe einer herzensweisen und herzensguten Frau. Einer Schlichterin und Seherin. Diese Hoffnung hatte mich vor dem Ertrinken bewahrt.
    Und jetzt, wo Charlotte schon wieder über Mary Longoria plauderte? Jetzt war mir einfach nur schlecht. Weil ich es so nicht würde ertragen können. Ohne Notausgang, ohne Wegweiser, ohne Flackerkerze. Was war eine Ehe wert, in der es keine Brücke gab, auf der wir uns hätten begegnen können? Da wir schon aus völlig verschiedenen Ländern kamen? Das Land der Oberschicht und das der Unterschicht grenzten ja nicht mal aneinander. Die

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