Superdaddy: Roman (German Edition)
um die Häschenlampe. Und plötzlich rasten die Gedanken durch mein Hirn, wie im olympischen Hundert-Meter-Staffel-Sprint. Natürlich. Mein Leben. Diese fünf Wahnsinnigen in dieser viel zu kleinen Küche, in dieser viel zu engen Vier-Zimmer-Wohnung, das gab es so nur einmal und doch Millionen Male. Kinder passten nie. Sie störten. Sie waren einem zu viel. Sie meuterten. Sie sagten die Wahrheit. Sie torpedierten unsere Ehe. Sie brauchten uns. Sie weinten über ein Pressefoto, lachten über ein Augenrollen und griffen beim Spazierengehen unvermittelt nach deiner Hand. Sie trotzten, motzten und revoltierten so lange, bis man ihnen statt einer Kugel Eis fünf Kugeln mit Sahne, Schokostreuseln und Schokosoße ausgab. Im Waffelbecher. Diese Kinder großzuziehen war eine Expedition in die Antarktis, aber ohne Pelzhandschuhe. Man lernte Schreiben und Lesen, Fußball und Autofahren, Küssen und Vögeln, aber die eigenen Kinder zu erziehen – das brachte einem niemand bei. Alles fiel auf einen selbst zurück. Das war die Wahrheit. Das war der Schmerz. Und was war Komik? Wahrheit und Schmerz. Verdammt, wieso war ich nicht selbst darauf gekommen?
»Klingelt’s?«, fragte Max und grinste.
Jetzt wusste ich auch, an wen er mich erinnerte. An meine Lieblingskinderbuchfigur. Karlsson vom Dach. Klein, dick, unverschämt. Und ziemlich schlau.
»Noch einen Mojito!«, rief er dem Rastamann zu. »Und einen Cuba Libre.«
ZWEITER TEIL
1
»Papa, rate mal, wie viele es jetzt sind!«
Es gibt einen Moment in jedem Märchen, in dem alles gut ist. Wenn beispielsweise das kranke Baby Rapunzel vom Wunderkraut geheilt wird – bevor die böse Hexe es stiehlt. Dieser Moment dauerte bei mir nun schon ein halbes Jahr an. Von Mai bis Oktober. Linus war mittlerweile zehn geworden, hatte sich die Haare wachsen lassen und sah jetzt aus wie Torsten Frings in seiner besten Zeit. Ein Hippie, nur eben mit Kindergesicht. Ein dauergutgelaunter Hippie. Und dafür brauchte er weder Schwarzen Afghanen noch Bob Marley. Ihm reichte die ZAHL.
»Und, mein Spatzl?«
»Zwei Millionen vierhundertsechsundsechzigtausenddreihundertvierzig Aufrufe!«
Linus hatte immer schon ein Faible für Zahlen gehabt. Bei jeder Taschengelderhöhung rechnete er aus, wie viele AT-AT-Walker von Lego Star Wars er sich dafür in den nächsten fünf Jahren würde kaufen können. Oder wie viele Federtaschen für unser Patenkind aus Zimbabwe. Dabei gab er das Geld ohnehin binnen einer Woche für Kaugummi aus. Aber diese eine Zahl aus yourvideo.de war magisch. Sie stieg täglich an. Und Linus konnte sie partout nicht für sich behalten. Jeden Lehrer, jeden Kellner, jeden Verkäufer fragte er: »Kennen Sie das Eisdielenmassaker?«
»Das was?«
»Das Eisdielenmassaker. Soo lustig! Und schon 1 645 321 Aufrufe!«
Am 2.Mai haben wir es hochgeladen. Eine Woche später hatte es eine Million Klicks.
»Und wann bist du wieder im Fernsehen?«, wollte Linus wissen. Niemand war auch nur annähernd so stolz auf meine Fernsehauftritte wie er. Dabei sah er sonst kaum fern. Dazu war er ja viel zu sehr mit Spore , Sims und Pflanzen gegen Zombies beschäftigt.
»Na ja, ihr wisst ja, in einer Woche wird mein ganzes Programm aufgezeichnet. Und das wird dann irgendwann in voller Länge im Fernsehen ausgestrahlt.«
»Das ganze Programm?« Das warf sogar Lasse um. »Papa, wann kommt das?«
Eine Zahl zog andere Zahlen nach sich. Und zwar in einem Tempo, das mich schwindeln ließ. Die eine Million Yourvideo-Klicks hatten mich in acht Fernsehshows gebracht, in denen ich das Eisdielenmassaker live präsentieren durfte. Daraufhin hatten mich zweiundfünfzig Veranstalter eingeladen, mein Programm Dad Man bei ihnen zu spielen, und zu diesen Auftritten waren nicht mehr vierzig Zuschauer gekommen, sondern vierhundert. Und statt fünfhundert Euro hatte ich dreitausend am Abend verdient. Und alles zusammen hatte einen Endorphinausstoß von fünfzig Kubikmetern pro Sekunde ergeben. Oder wie maß man Glückshormone?
»Oh, jetzt chillt doch mal«, stöhnte Luna und biss von einer Jalapeño ab. »Ihr kennt das Programm doch schon.«
Vielleicht wäre ich gar nicht so glücklich gewesen, wenn ich nicht sechzehn Jahre lang vergeblich versucht hätte, in die Comedy-Society reinzukommen. Wenn ich nicht sechzehn Jahre lang am Sicherheitszaun zwanzig Meter vorm Eingang hätte warten müssen. Plötzlich bewegte ich mich in allen Etagen, und alle waren schrecklich nett zu mir: Fernsehredakteure, Großveranstalter,
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