Superdaddy: Roman (German Edition)
grandiose Aussicht auf das Lichter- und Leuchtreklamemeer der Reeperbahn hatte. Aber die Leute waren ja nicht wegen der Aussicht hier, sondern um zu netzwerken. Eine besser bezahlte Form der Prostitution.
»Was war das denn?«, sagte er jetzt halblaut, während er sich übers Geländer lehnte. »Du rockst das Ding wie Jimi Hendrix, und die liegen im kollektiven Wachkoma! Ham die Valium verteilt, oder war das die Jahrestagung des Vereins gehirnamputierter Blondinen?«
Es gab noch Vernunft auf dieser Welt. Wenn auch in Gestalt dieses Moderators, der live noch schlimmer lispelte als in seiner Sendung. Vermutlich verwendete ProSechs einen Anti-Lispel-Scanner.
»Ich glaube, es war der Verband sächsischer Taubstummer.«
Er schüttelte entnervt den Kopf. »Mal wieder sooo typisch. Die schaffen es, eine komplette Comedy-Sendung OHNE Lacher zu produzieren. Und wundern sich nachher, warum nur über Neunzigjährige einschalten. Du hast doch hoffentlich noch nichts unterschrieben?«
»Wie, unterschrieben?«
Gedanken lesen konnte er auch. Und ich hatte zwar noch nicht unterschrieben. Aber zugesagt. Oder so gut wie zugesagt. Zumindest hatte Ines so gut wie zugesagt. Zählte das?
»Ich kenn das Konzept. Promis. Zum Gähnen. Wir machen das viel geiler. Wir lassen echte Väter gegeneinander antreten, in echten Disziplinen, verstehst du? Familie ist nicht öffentlich-rechtlich, Familie ist COOL, checkst du, DAS ist die Botschaft!«
War das die Botschaft? Mein Bühnenpapa war extrem uncool. Aber der massige Gott der deutschen Fernsehunterhaltung hatte sich bereits in einen Rausch hineingeredet.
»Das is ’ne nationale Aufgabe! Unsere Geburtenrate ist bald niedriger als die Trefferquote eines blinden Dartspielers. Dabei sind Kinder geil. Wir bringen Kinder in Mode! Ich hab sogar schon einen extremst übelst geilen Sendeplatz für dich: Sonntagabend!«
Übelst geil. Er redete wie ein sechzehnjähriger Gesamtschüler. Deshalb wollten die ihn ja auch alle sehen.
»Aber da läuft doch die Axel-Hubi-Show?«
Er beugte sich zu mir. »Die läuft nicht mehr soo«, flüsterte er. »Die geht jetzt auf den späten Mittwochabend.«
Im Gegensatz zu Mandelson flüsterte er nur dann, wenn etwas top secret war. Und dieses Geheimnis hob meine Laune in elysische Gefilde. Axel Hubi, das größte Nulltalent im deutschen TV, wurde runtergestuft? Übelst geil.
»O Gott«, sagte ich betroffen. »Wieso das denn?«
Er seufzte. »Hubi ist ’n Riesentalent. Aber ’n bisschen Comedy, ’n bisschen Talk – das will echt niemand mehr sehn. Wenn du auf’m Nachbarsender zugucken kannst, wie sich jemand von 20 000 Termiten die Haare abfressen lässt.«
Ich nickte betroffen. Das Leben konnte so schön sein.
»Hat sich übrigens auch verzockt.«
Wir blickten beide nach unten auf den Gehsteig, wo eine Gruppe betrunkener Schwaben sich lautstark in ihrem fürchterlichen Dialekt nach der Herbertstraße durchfragte. Länderfinanzausgleich.
»Hatte ’ne Tour mit lauter 2000er Hallen gebucht, und dann kamen überall nur 400. Hat sich totgespielt und nix verdient. Aber das Gute: Der Sendeplatz ist jetzt für dich frei! Germany’s next Superdaddy ! Na, was is?«
Zwei Verträge in drei Minuten. Ich konnte so was nicht. Was würde ich Mandelson sagen? Und wo war Lasse? Und was hatten die in den Mojito getan, den ich eben ausgetrunken hatte? Mein iPhone machte Brr Brr. Im besten Fall war das Charlotte, die früher fertig geworden war und jetzt die Kinder abholte.
»Sorry.« Ich blickte kurz aufs Display.
Alexa22.
Mein Herz spielte Schlagzeug.
sieh an, sieh an. mein dreamboy allein auf dem balkon mit dem gott der deutschen tv-unterhaltung.
Mein Herz explodierte. Sie war hier. Darauf war ich nicht vorbereitet. Ich hätte mich vielleicht nächste Woche mit ihr verabredet, um in Ruhe bei einem Mojito mit ihr zu flirten. Aber jetzt? Hier?
»Deine Agentin?«
»Nee«, murmelte ich. Und tippte: kellnerst du hier?
Er betrachtete mich amüsiert, während ich auf Senden drückte. »Deine Affäre?«
Scheißtelepath. Ich wurde rot. »Quatsch. Meine Frau. Was Dringendes.«
»Willst du sie eben anrufen?«
»Nee, nee.«
Brr Brr.
kellnern? ich bin escort-girl! etwas besser bezahlt.
»Ich sag dir was«, plauderte er ungerührt weiter, »wenn du gleich reingehst, erhöht Mandelson sein Angebot. Du bist seine letzte Chance, seine Quote im physikalisch messbaren Bereich zu halten.«
Was interessierte mich Mandelson? Ich brauchte eine Ausrede, um
Weitere Kostenlose Bücher