Superdaddy: Roman (German Edition)
Charlotte, dachte ich. Dann würde sie jetzt nicht The Wire gucken.
Ich stand vor der Wohnzimmertür und atmete tief durch. Charlotte hatte den Fernseher noch lauter gestellt, um nicht gestört zu werden. Alle drei Kinder lagen in ihren Betten. Und auch Alexa lag vermutlich in ihrem Bett. Und wartete auf mich. Nackt. Aber das war jetzt unwichtig. Ich holte tief Luft für das, was mir bevorstand. Dies war der Moment zu kämpfen. Ich ging hinein und schloss die Tür hinter mir.
»Geschafft?«, fragte sie und drückte auf Pause.
»Was machst du hier, Charlotte?«
Sie überhörte meinen ernsten Ton. »Du wirst es ja nicht glauben«, sie trank einen großen Schluck Merlot, »aber die große Mary Longoria, die mir fast die Stelle geklaut hätte, sollte ja den Hauptvortrag halten. Über die Sexuelle Not des Neuen Vaters . Unheimlich spannend, wenn Männer sexuelle Nöte haben. Aber was macht Frau Longoria? Zerstreitet sich mit ihrer deutschen Freundin, schiebt eine Magen-Darm-Erkrankung vor und kommt einfach nicht. Glaub mir, Lesben streiten sich drei Mal öfter als Hetero-Pärchen. Und haben dafür nur halb so viel Sex. Ich werde jetzt Buddhistin, und zwar unter der Bedingung, dass ich als schwuler Mann wiedergeboren werde.«
Sie unterhielt sich wahnsinnig gut, wenn sie sich selbst zuhörte. Ein Narziss braucht nicht mehr als eine glatte Wasseroberfläche, um glücklich zu sein.
»Also, du hattest viel früher frei als erwartet«, stoppte ich ihren Redestrom. »Und was machst du dann hier?«
Sie lachte unbefangen los. »Was wohl, mein Schätzchen?« Sie breitete die Arme aus und zeigte auf das ausgezogene Sofa. »Ich gönne mir eine rein private Belohnung! Ich regeneriere meine Arbeitskraft! Ich freue mich auf guten Sex! Und in der Zwischenzeit gucke ich die beste Serie der Welt. Sieht man das nicht?«
Ich blieb ganz ruhig. Ich würde ihr keinen Anlass geben, sich über die Form meiner Äußerungen aufzuregen. Keine Nebenschauplätze. »Warum hast du die Kinder nicht aus dem Theater abgeholt?«
Sie runzelte die Stirn wie über einen Bettler, der nicht einen, sondern zwanzig Euro verlangt. »Die Kinder waren doch bei dir!«
Ich atmete aus. Ich würde mich nicht aufregen. Dabei konnte ich nur verlieren. »Ja, sie waren bei mir. Und deswegen konnte ich auf der anschließenden Feier nicht mit all den Rundfunk- und Fernsehleuten reden, die etwas von mir wollten.«
Charlotte lächelte aufmunternd. »Dann hoffe ich sehr, dass du ihnen deine Visitenkarte gegeben hast! Damit du …«
Ich hörte ein Rascheln, dann ein Klopfen und ein Knarren. Ich wusste, wer jetzt hinter mir in der Tür stand.
»Lasse, was ist?«, sagte ich drei Grade zu scharf.
Er begann übergangslos zu weinen. »Ich habe eben diese Bilder, Papa! Von dem, was der Taxifahrer erzählt hat.«
Die Bombenopfer. Im Moment der Erzählung hatte ich gewusst, dass Lasse die nächsten sieben Nächte diese Toten sehen würde. Den Moment der Explosion. Die Köpfe und Gliedmaßen. Das Blut und die Gedärme. Die entsetzten Augen. Er musste sich immer alles ganz genau vorstellen. Ich brachte ihn wieder ins Bett, hielt ihn ganz lange und flüsterte Beruhigendes. Dann kehrte ich zu Charlotte ins Wohnzimmer zurück. Sie hatte sich schon wieder in die labyrinthische Handlung von The Wire versenkt.
»Dieser Barksdale«, murmelte sie gedankenverloren und starrte auf die Mattscheibe. »Wie der das bloß macht. So ’n Arsch.«
»Charlotte, ich sage das jetzt nur einmal.«
»Was?« Sie schreckte hoch und drückte wieder auf Pause.
»Nein, du drückst auf Stop. Die TV-Session ist zu Ende. Jetzt geht es um uns. Um unsere Ehe. Du, Charlotte, übernimmst keinen Funken Verantwortung! Lena hat uns hängenlassen, deine Eltern golfen in Papeete, und ich musste spielen. Deshalb hättest du die Kinder sofort abholen müssen, als diese Longoria nicht kam! Seit wann wusstest du das überhaupt?«
»Seit wann?« Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Wie, seit wann? Seit, äh, keine Ahnung.«
»Charlotte!«
»Na ja, seit gestern.« Sie lachte verlegen. »Ich habe das überhaupt nicht mit euch in Verbindung gebracht. Ich hab mich auf The Wire gefreut, Barksdales großes Schwurgerichtsverfahren. Äh, was machst du?«
Ich zog die Matratze hinterm Schlafsofa hervor.
»Was wird das?«, fragte sie.
»Stehst du bitte mal auf?«
»Wieso?«
»Ich möchte an die Bettwäsche.« Die war im Schlafsofa verstaut.
»Ich will aber noch nicht schlafen! Gerade ist ein neuer Belastungszeuge
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