Supernova
Wednesday, als die Sprengvorrichtung
unterhalb der Brücke explodierte. Die Brücke befand sich
auf Deck E und war durch zwei Druckkammern, einen
Stützträger und einen elektrisch aufgeladenen
Gravitationsring zum Ausgleich von Spannungsstößen von
Deck D getrennt, deshalb blieb sie von den unmittelbaren Folgen der
Explosion verschont.
Martin – voll sichtbar über den Camcorder eines
Büros – hatte sich vor ein paar Stunden bei ihr
gemeldet… »Es fügt sich alles zusammen und stinkt zum
Himmel«, sagte er nachdrücklich. »Sie hat die Moskauer
Katastrophe überlebt; danach hat jemand versucht, sie zu
entführen oder umzubringen; sie war gleichzeitig mit dir auf dem
Botschaftsempfang – oh, und da ist noch etwas.« Seine Wange
zuckte. So aufgeregt hatte sie ihn kaum je erlebt. »Was
noch?« Sie nahm es sich selbst übel, dass sie auf einen so
offensichtlichen Köder anbiss.
»Sie hat einen Freund namens Hermann. Er hat sie hierher
gelotst.« Als Martin kurz schwieg, starrte sie ihn durch den
Zauberspiegel des Camcorders an. »Du willst mich wohl auf den
Arm nehmen.«
»Keineswegs. Frank wusste zwar auch nicht mehr, aber
er hat mir einen Wink mit dem Zaunpfahl gegeben, verstehst
du?«
»Oh, Scheiße.« Sie musste sich gegen die Wand
lehnen. »Hat sie dir noch etwas mitgeteilt?« Angesichts der
Tatsache, dass sich plötzlich alles zusammenfügte, war ihr
kurz schwindelig geworden. Hermann war, wie sie wusste, der
Deckname, den ein Agent des Eschaton benutzt hatte, wenn er
Verbindung mit Martin aufgenommen hatte. Er hatte Martin dafür
bezahlt, irgendwelche obskuren Aufträge für ihn zu
erledigen – Aufträge, deren Nebenwirkungen die
Botschaftskanzleien Dutzender Welten erschüttert hatten. Hermann
war an menschlichen Wesen eigentlich nur dann interessiert, wenn sie
versuchten, Zeitmaschinen zu konstruieren, die Kausalität zu
verletzen oder mit verbotenen Waffen zu experimentieren. Moskau war vernichtet worden, als sein Stern ohne jede Vorwarnung
explodiert war. Was nicht hätte passieren dürfen –
nicht bei einem Zwerg des Typs G, der gerade die mittlere Phase
seines Lebenszyklus durchlief.
»Ja. Es mag ja Zufall sein, aber durchaus möglich, dass
sich eine ganze Menge Roheisen kurz vor der Hauptandockschleuse
befindet – siehst du die gehäuften Punkte rechts und links,
die die Rückkoppelung anzeigen? Hermann sagte, es müsse mit
der Gruppe der Übermenschen hier an Bord zu tun haben. Nach dem
ersten Sprung hätten sie vor, ein Ding zu drehen. Mit anderen
Worten: heute Abend. Mir ist gar nicht wohl dabei, Rachel.
Dieses…«
»Halt, diese Dinge sollten wir nicht hier und jetzt
besprechen.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich muss das
Mädchen finden, ehe seine Verfolger uns auf die Sprünge
kommen. Gibst du mir die Personenbeschreibung durch?«
»Klar.« Nachdem Martin die Ringe an seiner linken Hand
gedreht hatte, piepste ihr Notebook und zeigte gleich darauf ein
Bild: jugendliche Gesichtszüge, dunkles, grässlich
aufgestacheltes Haar, pechschwarzer Lidschatten. »Schwer zu
übersehen. Vermutlich findest du sie bei Frank, dem
Journalisten, offenbar haben sie was miteinander. Oh, und sie ist
genauso jung, wie sie aussieht, also geh schonend mit ihr
um.«
Rachel runzelte nachdenklich die Stirn. »Mach dir um mich
keinen Kopf, sorg dich besser um sie. Kümmere du dich um eine
Unterredung mit Kapitän Hussein. Sag ihr, dass eine Gruppe von
Passagieren unserer Einschätzung nach Probleme machen wird.
Falls nötig, verrate ihr auch, um wen es sich handelt –
aber sag ihr nicht, welche Quelle uns vorgewarnt hat. Könnte ja
sein, dass es in der Mannschaft eine undichte Stelle gibt.
Außerdem haben wir womöglich keine Chance, irgendetwas
Neues zu erfahren, falls wir überreagieren…«
»Weidmannsheil!« Er lächelte ihr zu, bis sie
auflegte.
Und so kam es, dass Rachel jetzt durch die nur zu zehn Prozent
besetzten Gesellschaftsräume streifte und unauffällig die
wenigen Passagiere musterte, die ausgegangen waren und hier
miteinander plauderten, sich in den allzu üppig gepolsterten
Möbeln, offenbar ein Markenzeichen von WhiteStar, herumrekelten
oder etwas tranken. Wednesday schien gemeinsam mit ihrem neuen Freund
verschwunden zu sein, und keiner von beiden trug die Ortungsplakette. Diese Freaks, die so viel Wert auf ihre Privatsphäre legen,
soll eh der Teufel holen!, dachte sie. Nirgendwo konnte sie ein
mageres Mädchen mit Stachelhaar und einem auffälligen
Mangel an Farbsinn entdecken. Und auch
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