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Survive

Survive

Titel: Survive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Morel
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doch, nicht wahr?«
    »Sie sind ein Lügner«, erwidere ich.
    Er lächelt nur, und plötzlich sitzt meine Mutter neben ihm, und im Hintergrund werfen sich mein toter Vater und meine Großmutter in den Schnee und machen Schnee-Engel.
    »Darf ich spielen?«, frage ich.
    »Nein«, antwortet Old Doctor kopfschüttelnd und lächelt immer noch. Meine Mutter weint. Und Old Doctor legt den Arm um sie. Er flüstert ihr etwas ins Ohr, und sie nickt. Er küsst sie auf die Wange, und ich will ihn umbringen, meines Vaters wegen. Sie stöbert in ihrer Handtasche, nimmt die Taschenuhr meines Vaters heraus, reicht sie mir und schärft mir ein, sie nicht wieder zu verlieren. Ich stehe auf und gehe auf Dad und Oma zu. Als ich sie erreiche, sind sie fort. Die Schnee-Engel sind noch da, und ihre Augen erwachen zum Leben, und dann fliegen sie davon. Ich schaue auf, um ihnen nachzusehen, und dann steht mein Vater neben mir, und ich öffne und schließe den Deckel seiner Uhr mehrmals hintereinander. Dann kommt Paul auf uns zu. Aber er ist tot. Ich will ihn berühren, doch da ist Glas zwischen uns. Ich schlage mit den Händen wieder und wieder gegen die Scheibe und schreie seinen Namen.
    Er öffnet die Augen und spricht: »Sag mir die Wahrheit.«
    »Worüber?«
    Aber seine Augen schließen sich, bevor ich etwas sagen kann, und ich weiß, dass er wieder tot ist.
    »He, Schlafmütze«, sagt Paul und rüttelt mich an der Schulter.
    »Ja?«
    »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Warum fragst du?«
    »Du hast mich geschlagen.«
    »Du bist bei mir«, antworte ich nur, halb verwundert, halb verschlafen.
    »Na ja, schon.« Er beugt sich über mich und küsst mich. Ich erinnere mich wieder an gestern Abend, und dann erwidere ich seinen Kuss und lege ihm beide Hände aufs Gesicht. Er trennt seine Lippen von meinen.
    »Warte hier«, sagt er, »ich will unseren nächsten Schritt auskundschaften.«
    Ich nicke, und sofort schlüpft er aus dem Schlafsack und in den Wald. Es geschieht so schnell, dass ich mich für einen Moment frage, ob ich träume. Dann klettere ich aus dem Schlafsack, um ihm zu folgen.
    »Warte«, schreie ich. »Paul! Paul!« Aber es kommt keine Antwort. Ich rufe wieder. Stille. Vertrau ihm, Jane. Vertrau ihm. Er würde dich niemals verlassen. Aber was ist, wenn es gar nicht an ihm liegt? Ich stecke die Füße in meine Stiefel und schnappe meine Handschuhe und meine Windjacke. Da erwacht auf einmal die Weltmeisterin im Besser-noch-mal-drüber-schlafen in mir, frisch und munter, als sei sie gerade selbst aus einem Nickerchen geweckt worden. Er könnte einfach immer weitergehen oder in einen See fallen. Was, wenn sein Fuß in einer Bärenfalle stecken bleibt oder er eine Steilwand hinabstürzt? Stopp! Bring diese Stimme zum Schweigen, Jane. Konzentrier dich auf das, was real ist. Konzentrier dich auf das, was du kontrollieren kannst.
    Ich rolle den zweiten Schlafsack zusammen und streichle mit der Hand über die Wärme, die unsere Körper hinterlassen haben. Ich lasse noch einmal jede Einzelheit der vergangenen Nacht Revue passieren. Die Erinnerungen an Küsse und Berührungen überschlagen sich förmlich, und ich lächle. Doch der Traum, mein Traum, er ist binnen weniger Sekunden verschwunden, und ich kann ihn beim besten Willen nicht zurückholen. Ich versuche festzuhalten, was noch festzuhalten ist, aber alles, woran ich mich erinnern kann, ist Pauls Gesicht im Fenster, und wie er mir zum Abschied winkt.
    Meine Hand ertastet sein kleines Buch am unteren Ende des Schlafsacks. Das Buch, das sein Bruder ihm gegeben hat. Ich nehme es in die Hand und fahre über den Einband. Ich schlüpfe wieder in den Schlafsack, dann öffne ich das Büchlein, ziehe den Brief heraus, den ich schon einmal gelesen habe, und kuschle mich in den Schlafsack, wo ich versteckt bin, falls Paul zurückkommt.
    Ich lese den Brief erneut, vor dem Hintergrund dessen, was ich jetzt über Paul und sein Leben nach dem Tod seiner Mutter weiß. Was hat Will da versucht, ihm zu sagen?
    Ich falte den Brief zusammen, lege ihn sorgfältig in das Buch zurück und schließe es wieder.
    Dann packen mich Schuldgefühle. Vielleicht hätte ich den Brief seines Bruders nicht lesen sollen. Stopp! Ich hätte ihn definitiv nicht lesen sollen! Es ist so was von falsch, in Pauls Privatsphäre herumzuschnüffeln. Wird er mir jemals verzeihen, wenn er es herausfindet?
    Ich krieche aus dem Schlafsack und tausche meine Sachen, so weit es geht, gegen trockenere aus. Dann packe ich zusammen. Ich

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